Über 40'000 Franken Spenden von rund 500 Personen in rund zwei Wochen: Das neue Lehrernetzwerk Schweiz ist überrascht über so viel Zuspruch – und will schweizweit gegen die Maskenpflicht an der Volksschule vorgehen.
Am Anfang der Geschichte steht ein Whatsapp-Aufruf zweier Pädagogen, die im Kanton Aargau unterrichten. Jérôme Schwyzer, Sekundarlehrer in Lenzburg, und Christof Wittwer, Primarlehrer in Staffelbach, lehnen sich gegen die Maskenpflicht auf, die im Kanton Aargau seit Anfang September ab der 5. Primarklasse gilt. Sie lancierten einen Aufruf bei Bekannten und baten um Unterstützung, um eine Klage gegen den Entscheid der Aargauer Regierung einzureichen. Die beiden Lehrer zeigten sich überrascht über die exponentiell wachsende Zahl der Spender. Innert gut zwei Wochen meldeten sich rund 500 Personen, die mehr als 40'000 Franken beisteuerten.
«Die Not bei Eltern und Schülerinnen und Schülern muss gross sein», folgert Schwyzer aus dem grossen Echo. Nach dem unverhofften Spendenerfolg war für ihn und Wittwer klar: Sie können die Aktivitäten gegen die Maskenpflicht nicht als Privatpersonen abwickeln. Am 9. September hoben sie deshalb in Suhr das Lehrernetzwerk Schweiz aus der Taufe.
Der Verein versteht sich als Stimme jener Lehrer und Eltern, welche den Coronamassnahmen an den Schulen kritisch gegenüberstehen. Eine Klage gegen das Maskenobligatorium im Kanton Aargau ist bereits aufgegleist und wird in Kürze eingereicht werden. «Notfalls werden wir uns bis vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für unser Anliegen einsetzen», sagt Schwyzer.
Der Verein erwägt aber auch, in anderen Kantonen dafür zu sorgen, dass die Masken per Gerichtsentscheid von den Gesichtern der Schülerinnen und Schüler verschwinden. Gemäss einer aktuellen Liste der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektion gilt in den Kantonen Aargau und Luzern ab der 5. Primarklasse eine Maskenpflicht, in den Kantonen St.Gallen, Schaffhausen, Tessin, Thurgau und Waadt ab der Oberstufe, in den Kantonen Bern, Solothurn und Neuenburg in den Gymnasien und an den Berufsschulen. Im Kanton Wallis sind auf dieser Stufe Jugendliche mit einem Covid-Zertifikat von der Maskenpflicht befreit.
Das Lehrernetzwerk Schweiz koordiniert den Widerstand gegen die Maskenpflicht und organisiert gemäss einer Medienmitteilung «Protestschreiben an Schulleitungen und Bildungsdepartemente in der ganzen Schweiz». Allein im Bezirk Muri haben sich auf diese Art 30 Lehrpersonen an den Aargauer Bildungsdirektor Alex Hürzeler gewandt. In einem von 18 Lehrpersonen unterzeichneten Brief heisst es unter anderem:
«Uns drängt sich der Verdacht auf, dass die Kinder nun das Bauernopfer sind, um seitens der Regierung mit Schnellschüssen an Massnahmen irgendwelche Zeichen zu setzen.»
Schwyzer, Mitglied der SVP Suhr und Vater einer Dritt- und Fünftklässlerin, sagt, er verharmlose Covid-19 nicht. Es handle sich durchaus um eine gefährliche Krankheit – vor allem für Personen aus der Risikogruppe. Aber bei Kindern seien die Verläufe in den allermeisten Fällen mild. «Der mögliche Nutzen der Maskenpflicht steht in keinem Verhältnis zum Schaden, den sie anrichtet.» Die Maskenpflicht bedeute einen massiven Eingriff in die körperliche Freiheit, Mütter berichteten von Kopfschmerzen, die nonverbale Kommunikation leide.
Ein weiteres grosses Problem sieht Schwyzer auch im Umgang mit Kindern, welche eine Maskendispens hätten. Er wisse von zahlreichen Fällen, wo Schüler ausgegrenzt würden und oft alleine in einer Ecke arbeiten müssten. Diese Kinder würden wie Aussätzige behandelt. Das sei staatlich sanktioniertes Mobbing, so Schwyzer weiter. «Kinder sollten doch in ihrem Umfeld primär als eine Freude und ein Segen wahrgenommen werden und nicht als Virenschleuder und primär als Gefahr für ihr Umfeld.» Was dies mit den Kindern mache, könne man sich ausmalen, fährt Schwyzer fort. Der Verein lehnt es auch ab, dass gesunde Kinder und ganze Schulklassen in Quarantäne geschickt werden, da auch unter dieser Massnahme viele Kinder ohne Not einem grossen psychischen Druck ausgesetzt würden. Aktuell sind gemäss einer Recherche von «Watson» mindestens in Quarantäne 7350 Kinder abgeschottet.
Juristisch einsetzen will sich das Lehrernetzwerk Schweiz auch für Eltern, die gegen Massnahmen vorgehen – und Lehrer, die sich aufgrund von Kritik am Coronamanagement an Schulen Probleme einhandeln könnten. Schwyzer sagt: «Viele Lehrer haben Angst, ihre Meinung frei zu äussern. Das ist äusserst bedenklich und Gift für eine Demokratie, die ja von der Vielfalt an Meinungen lebt.»
Dagmar Rösler, Präsidentin der Lehrerinnen- und Lehrerverbands der Schweiz (LCH), erachtet es als durchaus sinnvoll, die Masken zumindest für einen begrenzten Zeitraum wieder einzuführen, vor allem auf der Oberstufe, wenn sich beispielsweise die Lage in einer Schule verschärfe.
Grundsätzlich müssten Fachleute darüber entscheiden, wann genau eine Maskenpflicht in den Schulen angebracht ist und wann nicht. «Ausserdem sollte die epidemiologische Lage der ‹Sensor› für verschärfte oder gelockerte Massnahmen sein. Dass es sowohl für Lehrpersonen als auch für Schülerinnen und Schüler viel angenehmer ist, ohne Masken den Schulalltag zu bestreiten, das liegt auf der Hand.»
Fest steht: Das Coronavirus grassiert derzeit in keiner Altersklasse stärker als bei den 10- bis 19- und den 0- bis 9-Jährigen. Es gibt auch Eltern, die sich um die Gesundheit ihrer Kinder sorgen und auf das Risiko von Long Covid hinweisen. Der Verein Bildung Aber Sicher fordert deshalb nebst anderen Schutzmassnahmen Masken für alle Altersstufen oder die Aufhebung des Präsenzunterrichts bei hohen Inzidenzen. Der Verein bezeichnet sich als Sprachrohr jener Eltern, Grosseltern, Lehrer und Kinder, «die sich nicht mit dem Coronavirus infizieren wollen». Einige gehörten zur Risikogruppe. Solange Kinder am Präsenzunterricht teilnähmen, könnten sie sich nicht schützen.
Der Umgang mit der Maskenpflicht sorgt auch in Wissenschaftskreisen für Kontroversen. Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Impfkommission und Leiter der Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene am Kinderspital Zürich, hat sich wiederholt skeptisch zu dieser Massnahme geäussert. Die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie hielt erst am letzten Dienstag bezüglich der Schulmassnahmen in der vierten Welle fest: «Maskenobligatorien sind vor allem in der Primarschule zu hinterfragen. Es gibt zwar Hinweise dafür, dass sie im Schulsetting mit moderat weniger Übertragungen assoziiert sind. Sie werden den Gesamtverlauf der Pandemie aber kaum relevant beeinflussen.»
Isabella Eckerle, Virologin am Universitätsspital Genf, hingegen empfiehlt das Maskentragen im Unterricht. Sie warnte in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» von Langzeitfolgen bei Kindern wie Long Covid und vielleicht noch anderen Komplikationen, «die wir noch nicht kennen».