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Schweiz
Nach 100 Tagen im Amt nimmt Jean-Philippe Gaudin, der neue Chef des Nachrichtendienstes (NDB), im Interview Stellung zu seiner Arbeit, russischer Spionage und einem globalen Informationskrieg.
Jean-Philippe Gaudin: Ich befürchte nein. Die Russen haben Fehler begangen, aber sie werden daraus lernen.
Diese offensive Kommunikation ist in unserem Metier sicher ein Novum. Ich vermute, meine Kollegen vom holländischen Nachrichtendienst hätten wohl zurückhaltender kommuniziert, wenn es nur nach ihnen gegangen wäre. Aber die Politik hat manchmal andere Prioritäten. An der Pressekonferenz nahm auch die niederländische Verteidigungsministerin teil.
Dieses Risiko besteht auf jeden Fall. Je mehr Informationen wir nach aussen geben, desto mehr kann die Gegenseite gegen uns verwenden. Sie nützt alles, was ihr an Informationen zur Verfügung steht. Sie wird morgen in der Zeitung genauestens lesen, was ich heute an der Pressekonferenz in Bern gesagt habe. Sie wird sich auch die Beiträge des Schweizer Fernsehens und der sozialen Medien anschauen, um herauszufinden, wie wir arbeiten.
Nein, konkrete Hinweise haben wir zurzeit nicht. Aber es handelt sich um eine Frage der Antizipation. Wir haben gesehen, was in den USA und anderen europäischen Ländern geschehen ist. Auf dieser Ausgangslage müssen wir aufbauen und uns vorbereiten.
Nein, ganz sicher nicht. Aufgrund ihrer Neutralität ist die Schweiz weltweit stark vernetzt und folglich immer ein interessantes Angriffsziel für die Gegenseite, nicht nur die Russen.
Das muss nicht passieren, aber es kann. Die russischen Medien sind schon heute in der Schweiz präsent: Denken Sie an das Online-Portal Sputnik oder den Fernsehsender Russia Today.
Die Fülle an beschafften Informationen hat zugenommen, der Personalbestand ist gleich geblieben. Bei der Auswertung der Daten fehlt es uns an Kapazitäten. Wir müssen regelmässig Anfragen von Kantonen und Verwaltungseinheiten ablehnen. Der NDB braucht mehr Mittel im Bereich der Antizipation.
Das kann ich noch nicht sagen, wir werden jetzt sauber abklären, wo in der Organisation Lücken bestehen. Ich werde dem Bundesrat Ende Jahr einen Bericht mit verschiedenen Varianten unterbreiten. Nicht nur das Verteidigungsdepartement, auch die anderen Departemente haben ein Interesse an einer ausreichenden Personaldecke. Wir arbeiten für alle.
(lacht) Ich bin bereit, mein Amt gefällt mir. Nach drei Jahrzehnten in der Armee und acht Jahren an der Spitze des militärischen Nachrichtendienstes verfüge ich auch über die nötige Erfahrung.