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Schweiz
Der Bundesrat verzichtet vorerst auf eine Zusage für eine Neuauflage der Kohäsionsmilliarde. Das überrascht, kam die EU der Schweiz doch in mehreren Punkten entgegen. Politiker sind sich denn auch nicht einig, ob die Regierung weise agiert.
Zögern, zaudern, zocken: Bei der neuen Kohäsionsmilliarde für Osteuropa lässt sich der Bundesrat noch immer nicht in die Karten blicken. Einen Entscheid hat die Regierung am Donnerstag gefasst, informieren will sie aber erst anlässlich des Besuchs von EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker. Dieser ist nächste Woche für den 23. November geplant. «Der Bundesrat hat heute seine Positionen für das Gespräch festgelegt», sagte Bundesratssprecher André Simonazzi nach der gestrigen Sitzung der Landesregierung. Ob diese die neue Kohäsionsmilliarde an Zugeständnisse Junckers knüpft, liess er offen.
Die Geheimniskrämerei überrascht, denn einer Neuauflage des Erweiterungsbeitrags für Osteuropa (siehe Kasten) schien nichts mehr im Weg zu stehen.
Das Stimmvolk gab 2006 grünes Licht für die erste Schweizer Kohäsionsmilliarde. Sie soll einen Beitrag leisten, um die wirtschaftliche und soziale Kluft zwischen den EU-Oststaaten und dem übrigen Europa abzubauen. Die EU-Kommission wertet den Beitrag als Schweizer Eintrittspreis zum EU-Binnenmarkt. Insgesamt 1,3 Milliarden Franken flossen auf zehn Jahre verteilt in 13 Oststaaten. Die Höhe der Beiträge richtete sich nach Bevölkerungsgrösse und Pro-Kopf-Einkommen. Der grösste Teil des Geldes, fast eine halbe Milliarde Franken, ging nach Polen. Die Schweiz vereinbarte mit ihren Partnern knapp 250 Projekte. So wurden etwa die Pflege von alten Menschen verbessert, Kanalisationen und Trinkwasserversorgung gebaut oder die ÖV-Infrastruktur modernisiert. Im Sommer zogen die Schweizer Behörden eine positive Bilanz. Laut dem «Tages-Anzeiger» kämpfte aber ein Fünftel der Projekte mit Problemen. Im Lichte neuer Abkommen fordert die EU von der Schweiz nun eine Neuauflage des Erweiterungsbeitrags. (jus)
Positive Signale aus Brüssel bewogen laut Medienberichten die Mehrheit im Bundesrat, für einen neuen Beitrag zu plädieren. Der Grund: Die EU treibt die für die Schweizer Handelsplattformen eminent wichtige Äquivalenzerklärung voran. Diese Erklärung braucht die Börse, um weiter europaweit Handel treiben zu können. Die EU-Kommission muss diese nun noch verabschieden, was sie «bis Ende Jahr» machen wird, wie es am Dienstag aus Kommissionskreisen hiess. Bereits zuvor kam die EU der Schweiz entgegen, indem sie einem Andocken der Schweiz an den europäischen Emissionshandel zustimmte. Und Ende Juli hatte die EU nach langem Zögern das Abkommen zur Eliminierung der technischen Handelshemmnisse aktualisiert.
Das dreijährige Beziehungstief, verursacht durch die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative, scheint überwunden. Nichts würde die Rückkehr zur Normalität besser illustrieren als ein harmonischer Besuch Junckers bei Bundespräsidentin Doris Leuthard in Bern. Als Zeichen des guten Willens hätte die finanzielle Zusage dafür den Boden geebnet. Nun aber ist unsicher, ob Juncker mit einem Check im Gepäck nach Brüssel zurückkehren wird – wenn er denn überhaupt kommt: «Wir bereiten seine Mission vor, können aber noch kein Datum bestätigen», liess seine Sprecherin am Donnerstag verlauten.
Nicht erfreut über den Poker des Bundesrats ist der Präsident der aussenpolitischen Kommission, der St. Galler SVP-Nationalrat Roland Büchel. «Ich halte das für eine bizarre Art von Kommunikation», sagt er. Wenn der Bundesrat entschieden habe, könne er Ja oder Nein sagen. Büchel ist sich sicher, dass die Regierung den Beitrag abgesegnet hat: «Juncker kommt nicht ohne substanzielle Zugeständnisse nach Bern.»
Eine geschickte Verhandlungstaktik attestiert dem Bundesrat hingegen der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser: «Gewisse Bedingungen müssen erfüllt sein, sonst machen wir die freiwillige Zusage nicht.» Positive Signale allein genügten nicht. Es müsse «schwarz auf weiss» feststehen, dass der Schweizer Handelsplatz nicht benachteiligt werde. Auch sollten zwischen befreundeten Partnern alle technischen Probleme vom Tisch sein.
Nicht geholfen hat der EU die Aussage ihres Kommissars für Digitales: Andrus Ansip meinte nach einem Treffen mit Johann Schneider-Ammann letzte Woche in Brüssel gegenüber dem Schweizer Fernsehen: «Ich weiss, dass der Bundesrat nächste Woche über die Kohäsionsmilliarde diskutieren wird.» Für Noser ist klar: «Es ist ein Affront sondergleichen, wenn ein EU-Kommissar der Schweiz die Agenda diktiert.» Das habe den Bundesrat verärgert.