Akademien
Brüssel hört künftig auf einen Schweizer: Basler Professor wird Europas oberster Rektor

Der ehemalige oberste Rektor der Schweiz, Antonio Loprieno, wird Präsident aller europäischen Akademien – und wälzt bereits revolutionäre Ideen für Schweizer Universitäten.

Yannick Nock
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Antonio Loprieno. Roland Schmid

Antonio Loprieno. Roland Schmid

Roland Schmid

Lange hat er es nicht ausgehalten. Antonio Loprieno, bis 2015 oberster Rektor der Schweiz und damit zuständig für die grossen Bildungsfragen des Landes, wollte es eigentlich ruhiger angehen lassen. Eine gewisse Amtsmüdigkeit habe er wegen der Folgen der SVP-Zuwanderungsinitiative verspürt, sagte Loprieno. Doch das ist vorbei. Der Basler Professor für Ägyptologie kehrt auf die bildungspolitische Bühne zurück: Er wird Präsident der europäischen Akademien (Allea), eines Zusammenschlusses von 59 Akademien in über 40 Ländern. Loprieno ist damit erster Ansprechpartner der EU in Fragen der Wissenschaft: Brüssel hört künftig auf einen Schweizer.

Loprieno, 63, sitzt in der Cafeteria der Universität Zürich und philosophiert genüsslich über die grossen Fragen der Gesellschaft. Welche Folgen hat die Digitalisierung? Was müssen Studenten künftig können? Und wie lässt sich die «postfaktische Vertrauenskrise» gegenüber der Wissenschaft zerstreuen? Lösungen hat Loprieno nicht – noch nicht. «Bevor man Antworten geben kann, muss man interessante Fragen stellen», sagt er. Einfach werde es nicht, doch die Akademien müssten die Debatte prägen.

Gerade in der Vertrauensfrage ist Loprieno zuversichtlich: «Die meisten Trump-Wähler glauben nicht, dass die Welt in sieben Tagen erschaffen wurde.» Dasselbe gelte für die Klimaleugner. «Vielmehr geht es um Globalisierungsängste und darum, trotzig gegen die sogenannte Elite zu stimmen.» Dagegen könne die Wissenschaft ankämpfen. Als Allea-Präsident wird Loprieno nun europäische Belange prägen. Er sitzt mit am Tisch, wenn Brüssel diskutiert, wie Staaten gegen die Klimaerwärmung oder andere globale Probleme ankämpfen können.

Für Patrick Aebischer, ehemaliger Präsident der ETH Lausanne, ist der 62-Jährige die richtige Wahl, da er in der europäischen Bildungslandschaft bestens vernetzt sei. Und: «Er ist der ultimative Polyglotter», sagt Aebischer. Ein Sprachtalent, das perfekt deutsch, englisch, französisch und italienisch spricht.

Dass die Schweiz nicht zur Europäischen Union gehört, sei kein Nachteil, sagt Loprieno. «Wahrscheinlich wurde ich gefragt, weil ich Schweizer bin.» Denn Allea gehören auch Staaten ausserhalb der EU an. Länder mit einem angespannten Verhältnis zur Union wie die Türkei würden dann lieber mit einem Schweizer als mit einem Deutschen oder Franzosen den Dialog suchen, glaubt Loprieno. Nicht erst seit dem Ausschluss der Schweiz aus dem Studentenaustauschprogramm Erasmus weiss man um die Probleme für Nicht-EU-Staaten. «Ich möchte die Interessen der Schweiz besser vertreten.»

Unis droht Bedeutungslosigkeit

Die schweizerische Bildungslandschaft sieht Loprieno im Umbruch. Die renommierten Universitäten würden an Bedeutung gewinnen. Die beiden ETH drückten weiter in die absolute Spitzenkategorie. Zudem würden die grossen Schweizer Hochschulen strategische Partnerschaften eingehen, um international konkurrenzfähig zu bleiben.

Bestes Beispiel seien die Universitäten Zürich und Genf: Die grösste Deutsch- und Westschweizer Universität intensiveren den Austausch. Auf der Strecke bleiben die kleineren Universitäten. In Luzern und Neuenburg stagnieren die Studentenzahlen, im Tessin sinken sie sogar. Den Hochschulen drohe die internationale Bedeutungslosigkeit.

Für die Lehre hegt Loprieno neue Ideen: Es sei unverantwortlich, dass es heute Fächer ohne Informatik und Statistik gebe, sagt er. «Informatik ist das neue Latein.» Egal ob deutsche Literaturwissenschaft, Biologie oder Psychologie: Zumindest im Bachelor-Studium müssten alle Studenten die Grundlagen der Informatik lernen.

«Ohne geht es in der digitalisierten Welt nicht mehr.» Dafür wird sich Loprieno einsetzen. Dabei kommt ihm zugute, dass er am 1. Mai nicht nur sein Amt bei Allea antreten wird, sondern als neuer Präsident aller Schweizer Akademien amtet. Der Ruhestand muss warten.