Interview
Bischof Felix Gmür über die Solidarität zu Corona-Zeiten: «Das hat mich positiv berührt»

Der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz erklärt, wie die Kirche in Zeiten der Corona-Virus helfen kann. Sie spende aber nicht nur in Ausnahmezeiten Hoffnung und Trost.

Kari Kälin
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Schöpft Zuversicht aus der biblischen Botschaft: Bischof Felix Gmür.

Schöpft Zuversicht aus der biblischen Botschaft: Bischof Felix Gmür.

Archivbild

Wegen des Corona-Virus dürfen die Gläubigen keine Gottesdienste besuchen. Taufen und Hochzeiten sind auf später verschoben. Blutet Ihr Herz?

Das ist sehr traurig. Sakramente stellen einen wichtigen Pfeiler des kirchlichen Lebens dar. Viele Gläubige bedauern es, dass sie nicht physisch am Gottesdienst teilnehmen dürfen. Die Priester feiern die Eucharistie auch in diesen ausserordentlichen Zeiten. Wir müssen jetzt das Beste aus dieser Situation machen.

Wie?

Indem wir im Gebet unsere Verbundenheit mit den Menschen ausdrücken, indem wir die Gottesdienste übertragen und füreinander beten, indem wir Zeichen der Hoffnung setzen. Deshalb hat die Bischofskonferenz zusammen mit der Evangelisch-reformierten Kirche beschlossen, alle Menschen aufzurufen, jeden Donnerstag bis vor Ostern auf den Fenstersimsen um 20 Uhr Kerzen anzuzünden und zu beten für die Menschen, die am Virus erkrankt sind, für die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, für Menschen, denen angesichts der aktuellen Lage Einsamkeit droht. Wenn Zehntausende zur gleichen Zeit das Gleiche tun, schafft das ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Ein leuchtendes Zeichen in schwierigen Zeiten?

Wir senden ein positives Signal: Hört, ihr müsst keine Angst haben, denn Gott ist für euch da.

Not lehrt beten, lautet ein Sprichwort. Ermuntern die Bischöfe auch deshalb zum Gebet?

Das Sprichwort kommt nicht von ungefähr. In der Not realisieren viele, was einem im Leben wirklich wichtig ist. Gläubige Menschen beten selbstverständlich nicht nur in Krisenzeiten. Wir beten immer, denn aus der Verbindung mit Gott schöpfen wir Kraft in allen Lebenslagen.

Bietet der Quasi-Stillstand des gesellschaftlichen Lebens auch die Chance, die Spiritualität oder die Beziehung zu Gott neu zu entdecken?

Wenn wir die Menschen bei der Suche nach Gott und dem Sinn des Lebens zu unterstützen vermögen, freut mich das. Wir sollten aber nicht versuchen, die Corona-Virus-Krise zu instrumentalisieren. Als Christinnen und Christen sind wir jetzt aufgerufen, für die Menschen da zu sein. In Zeiten von Social Distancing ist es wichtig, Nähe herzustellen, sei es zum Beispiel durch Telefonseelsorge. Wir geben den Gläubigen zu verstehen, dass die Kirche für sie da ist: Das ist unsere schönste und grösste Aufgabe.

Die Schweiz ist im Ausnahmezustand. Wie nehmen Sie das Verhalten der Gesellschaft wahr?

Die Menschen haben sehr schnell und auf sehr vielfältige Art private und freiwillige Hilfe organisiert, zum Beispiel fürs Einkaufen. Damit stellen die Menschen untereinander Verbundenheit her. So entsteht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Das hat mich positiv berührt.

Hadern die Menschen in diesen Zeiten mit Gott?

Eine solche Krise ist erstens nicht vorhersehbar, und zweitens leiden sehr viele sehr stark darunter. Es ist verständlich, dass sich manche fragen, was Gott damit zu tun hat. In der biblischen Tradition schimpfen die Leute manchmal über Gott und beklagen sich, er setze sich zu wenig für sie ein. Als Seelsorger müssen wir zuhören, Empathie zeigen, solche Sorgen ernst nehmen, aber auch ermutigende Worte aussprechen. Und einräumen, dass wir nicht auf alle Fragen eine Antwort bereit haben, dass man schwierige Situationen auch aushalten muss.

Trauerfeiern sind nur im engsten Familienkreis möglich. Was bedeutet diese Vorsichtsmassnahme?

Das finde ich menschlich sehr schwierig. Von einem Verstorbenen Abschied zu nehmen hilft bei der Verarbeitung der Trauer. Jetzt ist das für viele nur aus der Ferne möglich.

Lastet auf Ihnen als Bischof in diesen besonderen Zeiten ein besonderer Druck?

Wie alle Seelsorger habe ich die Aufgabe, die Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, ihnen Hoffnung und Trost zu spenden. Das macht die Kirche nicht nur in Zeiten des Ausnahmezustands, jetzt aber besonders. Die Kraft für meine Aufgabe schöpfe ich aus der biblischen Botschaft. Auf jeden Karfreitag folgt Ostern, die Auferstehung. Am Schluss gewinnt das Leben, vielleicht in einer anderen Form. Diese Zuversicht ist für die Seelsorge wegweisend.