Der Bundesrat hat am Freitag einen Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative unterbreitet. «Ungenügend», urteilen Initianten wie Raffael Ayé, Geschäftsführer von Birdlife Schweiz.
Für den Erhalt der Biodiversität demonstrieren in der Regel keine Schulklassen auf der ganzen Welt. Der schleichende Rückgang von Bienen, bestimmten Obstsorten und Mooren hat keine so prominente Lobby wie die globale Erwärmung - und dennoch pochen Umweltverbände seit Jahren darauf, der Verlust der Biodiversität sei eine der grössten ökologischen Probleme der Gegenwart. Eine Volksinitiative schickt sich an, das zu ändern. Am Freitag hat der Bundesrat dazu einen Gegenvorschlag unterbreitet.
Herr Ayé, wie zufrieden sind Sie mit den Vorschlägen des Bundesrats?
Raffael Ayé: Naja, nicht ganz. Insgesamt ist es keine genügende Antwort auf die massive Biodiversitätskrise, in der sich die Schweiz befindet. Man muss sich bewusst sein: Die Wissenschaft geht davon aus, dass dieses Problem gleich bedrohlich für die Menschheit ist wie die Klimakrise. Auch wenn sie in der Öffentlichkeit weniger Aufmerksamkeit erhält. Insofern können wir mit dem Bundesrat nicht zufrieden sein, nein.
Man könnte auch argumentieren, der Bundesrat reiche den Initianten und Initiantinnen die Hand. Er will Schutzflächen schaffen und Mittel für den Erhalt bereitstellen.
Der Bundesrat anerkennt den Handlungsbedarf, das stimmt. Und das ist auch wichtig. Aber die jetzt kommunizierten Ziele hat er sich bereits 2012 in der Strategie Biodiversität gesetzt. Im Prinzip hat sich also in zehn Jahren wenig geändert, obwohl das Problem akut ist. In der Vernehmlassung hatten wir gefordert, dass der Bundesrat umfangreiche personelle und finanzielle Ressourcen bereitstellt, um die Kantone bei einer ökologischen Infrastruktur zu unterstützen. Davon sehen wir jetzt wenig.
Immerhin sollen Bundesmittel in der Höhe von jährlich 96 Millionen Franken für den Erhalt der Biodiversität eingesetzt werden. Zu wenig?
Es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, aber offensichtlich viel zu wenig, um die Entwicklung zu stoppen.
Welchen Preis hat denn die Biodiversität?
Das weiss niemand ganz genau. Die Grundlagen für eine seriöse Schätzung fehlen. Aber in einer eigenen Studie kam der Bund selber schon zum Schluss, alleine für den Erhalt der Schutzgebiete von nationaler Bedeutung bräuchte es mehr als 100 Millionen Franken im Jahr. Diese machen gerade einmal zwei Prozent der Landesfläche aus.
Bleiben wir kurz bei der Fläche. Der Bundesrat will 17 Prozent der Landesfläche als Schutzgebiet für die Biodiversität ausscheiden. Auch das finden Sie zu wenig. Wie viel bräuchte es denn?
Man sollte sich nicht auf eine reine Prozentzahl beschränken. Es geht nicht nur um die Quantität, sondern vor allem um die Qualität und die Art der Fläche. Alle Lebensräume müssen abgedeckt sein. Sie müssen in hoher Qualität gepflegt werden. Es gibt verschiedene nationale und internationale Studien, die nennen eine andere Zahl: 30 Prozent. Das haben wir auch in der Vernehmlassung nicht gefordert. Der Fokus muss auf der ökologischen Funktionsweise liegen. Aber klar ist, dass 17 Prozent nicht reichen werden.
Ein weiterer Unterschied zwischen Ihren Positionen und jenen des Bundesrats liegt bei den Wasserlebewesen. Der Bundesrat will aufgrund «grundsätzlicher energiepolitischer Erwägungen» keine Schutzgebiete für Fische und Krebse. Stehen Biodiversität und Klimaerhalt im Clinch?
Grundsätzlich ist das ein Zielkonflikt, den man beachten und lösen muss. Aber Klima- und Biodiversitätsprobleme sind Zwillingskrisen. Packt man beide gemeinsam an, tun sich Synergien auf. Ein Beispiel: Im trockenen Sommer starben in Baselbieter Wäldern viele Buchen ab. Bei hoher Biodiversität können andere Arten die ökologischen Funktionen und auch die Ökosystemleistungen mit ihrer wirtschaftlichen Bedeutung erhalten. Man könnte ja auch bei der Lage von Fischschutzgebieten energiepolitische Überlegung einfliessen lassen. Die Wasserkraft ist ohnehin ausgeschöpft, Potenzial besteht nur noch in Speicherkapazitäten. Auch dafür setzen wir uns ein, dass die aquatischen Schutzgebiete wieder ins Inventar aufgenommen werden. Wir zählen auf das Parlament, die Vorlage des Bundesrats zu korrigieren.