Die Besetzung der Holcim-Zementgrube bei Eclépens (VD) war für die Schweizer Klimabewegung ein Novum. Nun will man auch in der Deutschschweiz auf die Protestform setzen. Sind die geplanten Gaskraftwerke das nächste Ziel?
Auf den Tag genau ein Jahr ist es her, seit die Polizei auf dem Hügel Mormont im Kanton Waadt mit der Räumung der ersten «Zone à defendre» der Schweiz begann. Der Begriff bezeichnet eine Protestform der Klimabewegung, bei welcher ein Gebiet besetzt wird, um es vor der Zerstörung zu schützen. In Eclépens (VD) wollten die Aktivistinnen und Aktivsten eine Ausweitung des Steinbruchs durch den Zementhersteller Holcim verhindern. Sie hausten dazu während über fünf Monaten illegal auf dessen Land.
In anderen Ländern wie Frankreich und Deutschland sind solche «Zones à defendre», kurz ZAD, schon länger bekannt. Berühmtestes Beispiel ist die Besetzung in Notre-Dame-des-Landes. Sie wurde 2018 nach 15 Jahren geräumt, erreichte aber ihr Ziel, ein Flughafenprojekt zu verhindern.
Rückblickend fällt die Bilanz der ersten ZAD der Schweiz aus Sicht der Organisatoren ambivalent aus. «Die Besetzung war zwar für alle Teilnehmenden inspirierend und sorgte für viel mediale Aufmerksamkeit», sagt ein Vertreter des ZAD-Kollektivs, der anonym bleiben will.
«Politisch gesehen war die Aktion jedoch kein Erfolg, weil die emissionsintensive Betonproduktion nicht in Frage gestellt wurde.»
Der Aktivist spricht damit den Umstand an, dass Holcim an der Ausweitung seines Steinbruchs festhält. Diese sei nötig, um die künftige Versorgung der Region mit Baustoffen sicherzustellen, heisst es beim Zementkonzern. Aktuell ist das Vorhaben zwar vor dem Bundesgericht hängig, doch der Holcim-Sprecher zeigt sich «zuversichtlich, dass das Projekt genehmigt wird».
Ist der illegale Protest also verpufft, ohne etwas auszulösen? Umweltpsychologin Oriane Sarrasin von der Uni Lausanne verneint. «Es hat eine Sensibilisierung der Bevölkerung zum Thema der Betonproduktion stattgefunden. Wenn jemand für seine Ideale sogar eine Gefängnisstrafe riskiert, löst dies bei den Menschen ein psychisches Unbehagen aus und regt sie zum Nachdenken an.»
Auf politischer Ebene wurden ebenfalls Diskussionen in Gang gesetzt. So lancierten linke Parteien im Januar eine kantonale Initiative, die den Mormont-Hügel unter Schutz stellen will. Weil die geplante Ausweitung des Steinbruchs auf das besetzte Gebiet davon ausgenommen ist, unterstützt das ZAD-Kollektiv die Vorlage nicht. Ein Vertreter stellt klar:
«Wir fordern, dass die Ausbeutung sofort aufhört und sind deshalb nicht bereit, solche Kompromisse einzugehen.»
Mit Genugtuung nehmen die Besetzenden derweil die jüngsten Gerichtsentscheide zur Kenntnis. Die Staatsanwaltschaft hatte für sie Gefängnisstrafen von zwei bis sechs Monaten ausgestellt, unter anderem wegen Hausfriedensbruchs. In den ersten sieben von rund fünfzig anstehenden Gerichtsprozessen wandelte das Bezirksgericht Nyon die Strafen Anfang Februar in Freisprüche oder tiefe Geldstrafen um. Gegen die Urteile hat die Staatsanwaltschaft Berufung angekündigt.
Das Westschweizer ZAD-Kollektiv zeigt sich überzeugt, dass die von ihr angewandte Protestform auch andernorts Schule machen wird. «Wir haben mit der Besetzung des Mormonts für die Schweizer Klimabewegung eine Türe geöffnet», sagt ein Mitglied.
Tatsächlich sieht man in der ZAD als Protestform auch in der Deutschschweiz «viel Potential», wie Klimastreik-Aktivist Jonas Kampus sagt. «Wir greifen immer auf die für den konkreten Fall geeigneten Mittel zurück.»
«Das Besetzen von fossilen Infrastrukturen ist für uns eine Option, um die Zerstörung der Umwelt zu verhindern.»
Der Vorteil einer «Zone à defendre» im Vergleich zu anderen Formen des zivilen Ungehorsams liege darin, dass sich die Bevölkerung besser mit den Aktivistinnen und Aktivisten identifizieren könne, sagt Expertin Oriane Sarrasin. «Im Gegensatz zur beliebigen Blockade einer Strasse ist eine ZAD nicht rein symbolisch, sondern sie will an einem spezifischen Ort etwas verändern.»
Dass es hierzulande bisher nur eine ZAD gegeben hat, erklärt sich Sarrasin nebst kulturellen Faktoren mit dem Umstand, dass die Schweiz ihre fossile Energie aus dem Ausland bezieht. «Das macht es trotz des hohen CO2-Fussabdrucks schwierig, an einem Ort in der Schweiz eine konkrete Zerstörung aufzuzeigen, wie dies in Deutschland bei Kohleabbaugebieten gemacht wurde», so die Forscherin. Sie erwartet jedoch, dass sich die Ausgangslage mit der aktuell geplanten Erhöhung der Energie-Autonomie verändern dürfte. «So könnten zum Beispiel Standorte für die geplanten Gaskraftwerke zum Ziel neuer Besetzungen werden», vermutet Sarrasin.
Konkrete Pläne verkünden will man bei Klimastreik Schweiz diesbezüglich noch nicht. «Wir werden die Gaskraftwerke mit allen Mitteln verhindern», stellt Aktivist Jonas Kampus klar. Darum habe man bereits eine Petition lanciert und am letzten Freitag in mehreren Städten demonstriert. «Wenn alle diese Anstrengungen nichts nützen, ziehen wir auch Aktionen des zivilen Ungehorsams in Betracht.»