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Schweiz
Der Kampf um die «No-Billag»-Initiative ist eröffnet. Sagt das Stimmvolk am 4.März Ja zu «No Billag», werden die TV- und Radiogebühren abgeschafft. Die realistischen Szenarien für den Fernsehmarkt danach sind düster.
Jahrelang war das gebührenfinanzierte Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) für die privaten Verleger das Feindbild Nummer eins. Entsprechend wurde an der jeden Januar stattfindenden Dreikönigstagung, dem grossen Treffen der Medienmanager, jeweils über den «marktverzerrenden Staatsfunk» gewettert oder ihm gar offen der Krieg erklärt.
Anders gestern: Für einmal wollte Verlegerpräsident Pietro Supino nicht über die SRG sprechen. Wenige Wochen vor der mit Spannung erwarteten Abstimmung über die No-Billag-Initiative hielt der Tamedia-Verleger stattdessen ein Plädoyer für eine bessere Förderung der Medienkompetenz an Schulen. Kurzum: Er war offensichtlich bemüht, von Relevantem abzulenken.
In der Branche nämlich herrscht Anfang 2018 helle Aufregung. Nicht nur, weil die Volksinitiative zur Abschaffung der Radio- und TV-Gebühren gemäss ersten Umfragen gute Chancen hat. Sondern auch wegen einer neuen Machtballung im Werbemarkt: Unmittelbar vor Weihnachten gab Tamedia bekannt, sich mit der Goldbach Group auf ein Übernahmeangebot verständigt zu haben. Anders ausgedrückt: Das grösste Verlagshaus verleibt sich den mit Abstand grössten Vermarkter von Radio- und Fernsehwerbung ein.
Welche Folgen hätte denn ein Ja zu «No Billag» auf den Fernsehmarkt? Könnten SRG und private regionale Sender ohne Gebühren überleben? Wohin flössen die Werbegelder, wenn wichtige Player verschwinden? Und welche Rolle spielt der neue Konzern Tamedia-Goldbach?
Es sind bedeutende Fragen, zu denen in der Branche alles andere als Konsens herrscht. Auch, weil fast alle Involvierten persönliche Interessen verfolgen. Insofern hatte Pietro Supino recht, als er gestern am Rande seiner Rede zur Branchenkritik ansetzte, ohne «No Billag» explizit zu erwähnen: «In der Medienpolitik und im Mediengeschäft geht es massgeblich um Einfluss und Deutungshoheit», sagte er. «Oder mit anderen Worten um politische Macht, Positionen und Pfründe, um finanzielle Interessen und Eitelkeiten.»
Bei «No Billag» hoffen die Verleger auf ein möglichst knappes Nein. Ihr Kalkül: Eine geschwächte SRG wäre gezwungen, ihre Online-Expansion abzublasen oder zumindest zu bremsen. An einem Ja jedoch haben die Verleger kein Interesse – schliesslich partizipieren sie dank des Gebührensplittings an den Billag-Einnahmen.
Daran, dass die SRG ein Ja zur Initiative überleben könnte, glaubt ausser dem Gewerbeverband niemand. Auch der für gewöhnlich SRG-kritische Verlegerverband nicht. «Der Gewerbeverband rechnet die Initiative schön», sagt Geschäftsführer Andreas Häuptli. Gleicher Ansicht ist die SRG selbst: Sprecher Edi Estermann sagt, eine Refinanzierung über Werbung und Sponsoring, über ein Abonnements- Modell oder ein Konkordat sei im kleinen Markt Schweiz unrealistisch.
Auch für private Verlage stelle eine Annahme der Initiative keine Chance, sondern eine Gefahr dar, warnt André Moesch. Zwar schüfe ein Ja ein programmatisches Vakuum, das private Anbieter auszufüllen versuchten, so der Präsident von Telesuisse, dem Verband der Regionalfernsehen.
«Nur: Selbst wenn sie deutlich effizienter produzieren würden als die SRG, könnten sie ein vollwertiges Programm, das auch Informationsformate beinhaltet, nie und nimmer refinanzieren.» Ohne SRG flösse künftig ein Grossteil der Werbung an Google und Facebook ab, glaubt er. Während für Tele Züri, das schon bisher ohne Gebühren auskam, nach Moeschs Überzeugung «höchstens Brosamen» übrig blieben, könnten neben der Suchmaschine und dem sozialen Medium auch die Schweizer Werbefenster ausländischer TV- Stationen profitieren.
Und da sind wir bei der Goldbach Group, die unter anderem ProSieben, RTL, RTL II und Sat.1 vermarktet. Goldbach-Sprecher Jürg Bachmann sagt, sein Unternehmen begrüsse die heutige Medienordnung mit ihrem Mix aus öffentlich-rechtlichen und privaten Medien, weil sie es den Werbeauftraggebern erlaube, alle relevanten Zielgruppen anzusprechen.
Auch er glaubt: «Würde ein Teil wegbrechen, würden vermutlich auch weltweit agierende Anbieter von solchen Verschiebungen profitieren.» Der neue Konzern will gerüstet sein: Tamedia-CEO Christoph Tonini schrieb in einer Medienmitteilung zur Übernahme, er wolle «mit unseren neuen Partnern ProSieben/Sat.1 und RTL jeweils Investitionen in Schweizer Programminhalte prüfen».
Die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran warnt, Goldbach entziehe dem Schweizer Markt schon heute Hunderte Millionen Franken an Werbegeldern nach Deutschland. «Goldbach-Tamedia ist der grosse Profiteur, wenn die SRG am 4. März zerschlagen wird.»
Ähnlich sieht man das offenbar beim grössten Goldbach-Konkurrenten Admeira: «Bei einem Wegfall von Werbe- und Sponsoringmöglichkeiten auf SRG-Sendern würde vermutlich noch mehr Geld über private TV-Stationen ins Ausland abfliessen», so Lutz Hahn, Sprecher der Vermarktungsallianz von Swisscom, Ringier und SRG.
Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer sagt, dass sein Verlag «No Billag weder direkt noch indirekt je unterstützt» und «auch kein Szenario für den Fall eines Ja» habe.
Für den Fall, dass die SRG überlebt, hält Tamedia an einer Forderung explizit fest: Die SRG müsse Admeira verlassen, so Zimmer. Damit wäre das Geschäftsmodell des Goldbach-Konkurrenten am Ende.