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Schweiz
Wer von aussen kommt, hat gegen einen profilierten Bundesparlamentarier in den Bundesratswahlen kaum eine Chance. Das mussten schon prominente Namen erfahren. Es gibt aber auch Ausnahmen: Eveline Widmer-Schlumpf ist nur eine davon.
Die Waadtländer FDP-Regierungsrätin Jacqueline de Quattro will Bundesrätin werden. Sie steigt ins Rennen um die Nachfolge von Didier Burkhalter. Ein schwieriges Unterfangen, wie die Geschichte zeigt.
«Man unterschätzt es», sagt die St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter. Sie kandidierte vor sieben Jahren für die Nachfolge von Bundesrat Hans-Rudolf Merz und unterlag ihrem Parteikollegen Johann Schneider-Ammann. Keller-Sutter war damals Regierungsrätin. Nicht irgendeine, sondern eine national bekannte. Sie präsidierte die Konferenz der kantonalen Polizei- und Justizdirektoren und machte sich einen Namen mit ihrem Kampf gegen Hooligans und häusliche Gewalt. Ihre Kandidatur blieb erfolglos. Was sie unterschätzte: «Eine Bundesratswahl gegen einen profilierten Parlamentarier ist für einen Regierungsrat sehr schwierig», sagt die Freisinnige Politikerin.
Denn kantonale Exekutivpolitiker kommen von aussen, sind nicht Mitglied des «Berner Clubs», wie Keller-Sutter das Parlament nennt. National- und Ständeräte wählen lieber Kandidaten, die sie aus dem Parlamentsbetrieb kennen. Um später keine Überraschungen zu erleben. Oder weil sie sich einen guten Zugang zu einem Bundesrat versprechen, mit dem sie bereits im Parlament zusammengearbeitet haben. Den Leuten von ausserhalb fehlt das Berner Netzwerk. Die Exekutiv- und Führungserfahrung wiegt diesen Nachteil nicht auf.
Das erlebte nicht nur Keller-Sutter. Zuletzt scheiterte der Tessiner Regierungsrat Norman Gobbi bei der Ersatzwahl für Eveline Widmer-Schlumpf. Der profilierte SP-Staatsrat Pierre-Yves Maillard blieb gegen Alain Berset chancenlos. Und die beiden einstigen Regierungsräte Rita Fuhrer und Roland Eberle waren 2000 zwar die offiziellen SVP-Kandidaten für die Nachfolge von Adolf Ogi. Das Parlament wählte jedoch den Berner Nationalrat Samuel Schmid. Die «Basler Zeitung» analysierte im Nachgang, dass «Aussenseiter» wie Eberle und Fuhrer bei solchen Übungen nur verlieren können: In einer halben Stunde die Volksvertreter von sich zu überzeugen, sei fast ein Ding der Unmöglichkeit. Hingegen koste ein einziger falscher Satz oder auch nur eine falsche Geste die Aussenseiter sofort mehrere Stimmen: «Bei der CVP etwa war vielen Fraktionsmitgliedern negativ aufgefallen, dass Eberle stets mit der Hand in der Hosentasche zu ihnen sprach.»
Sind Kandidaturen von aussen per se chancenlos? Nicht ganz. In speziellen Konstellationen wurden in der jüngeren Vergangenheit Nicht-Mitglieder des «Berner Clubs» gewählt.
So schafften Ruth Metzler und Micheline Calmy-Rey den Sprung von einer Kantons- in die Landesregierung. Doch beide traten gegen andere Regierungsrätinnen – Rita Roos und Ruth Lüthi – an. CVP und SP wollten damals unbedingt eine Frau im Bundesrat. Metzler und Calmy-Rey waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aussergewöhnlich waren die Umstände bei der Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf. Die damalige Bündner Finanzdirektorin war die Sprengkandidatin von Mitte-Links, um die Wiederwahl von Christoph Blocher zu verhindern. Mit einem Kandidaten aus dem Berner Politbetrieb wäre der Plan wohl ruchbar geworden – und gescheitert. Die Gewerkschafterin Ruth Dreifuss wiederum wurde nach der Nichtwahl von Christiane Brunner 1993 in den Bundesrat gewählt. Zuvor verzichtete Francis Matthey auf Druck seiner Partei auf die Annahme der Wahl.
Der Waadtländer Historiker Olivier Meuwly bedauerte in der gestrigen Ausgabe von «Le Temps», dass derart wenige Regierungsräte gewählt würden. Es gebe brillante Köpfe in den Kantonen. In Bezug auf de Quattro hielt er fest, dass der Anspruch der Tessiner auf den Bundesratssitz nicht mehr so klar sei wie zu Beginn gedacht. De Quattros einzige Chance, um der Geschichte einen Streich zu spielen? Wie bei Metzler, Calmy-Rey und Dreifuss: das Geschlecht.