Das Parlament stürzt sich in einen Redemarathon zur Begrenzungs-Initiative. Es wird das Begehren deutlich verwerfen.
Eine Zahl erwies sich als Verbündete der SVP. 68 000 Personen, so viele wie nie vor- her und nachher seit Einführung der Personenfreizügigkeit, wanderten netto 2013 aus der EU in die Schweiz ein (siehe Grafik). Prompt nahm das Volk am 9. Februar 2014 die SVP-Masseneinwanderungs- Initiative knapp mit 50,3 Prozent Ja-Stimmen an.
Das Parlament hat anstelle der geforderten Kontingente nur eine Stellenmeldepflicht bei Berufen mit hoher Arbeitslosigkeit installiert. Jetzt will die SVP die Personenfreizügigkeit mit der Begrenzungs-Initiative beerdigen. Voraussichtlich im nächsten Mai stimmt die Schweiz über das Begehren ab. Gestern debattierte der Nationalrat über die Begrenzungs-Initiative. Wie so oft in Europafragen mit dem Szenario: alle gegen die SVP.
Auch die Statistik eilt der Partei nicht zu Hilfe. In den letzen beiden Jahren betrug der Wanderungssaldo aus der EU nur noch 31 000. Und thematisch hat kurz vor den eidgenössischen Wahlen das Klima Hochkonjunktur. Steuert die SVP auf eine Abstimmungsniederlage zu? «Im Gegenteil», sagt Fraktionschef Thomas Aeschi. Die Bevölkerung spüre die negativen Auswirkungen der Personenfreizügigkeit immer stärker, ergänzt der Zuger Nationalrat – und erwähnt steigende Mieten, eine zubetonierte Landschaft, überfüllte Züge, verstopfte Strassen so- wie negative Auswirkungen auf die Sozialwerke.
Viele Nicht-SVP-Parlamentarier räumen der Initiative trotz solchen Argumenten an der Urne schlechte Chancen ein. Auch ausserhalb der Wandelhalle haben sich die Gegner bereits formiert. Zum Beispiel die Operation Libero, die sich im Nachgang zum Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative formierte. Sie werde die Begrenzungs-Initiative «vehement» bekämpften, sagt Sprecher Silvan Gisler.
Die Operation Libero mauserte sich in den letzten Jahren zu einer Art SVP-Schreck . Zuerst scharte sich eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung um sich, um die SVP-Durchsetzungs-Initiative zu versenken. Dann mobilisierte sie auch stark gegen die SVP-Selbstbestimmungs-Initiative, die chancenlos blieb.
Die Debatte verlief unspektakulär, obwohl sich 81 Politiker für den Redemarathon anmeldeten. Sicher, einige Voten fielen scharf aus, vor allem die linke Seite warf der SVP Menschen- und Ausländerfeindlichkeit oder Masochismus vor, etwa Nationalrat Corrado Pardini (SP/Bern). Er warnte vor Nahrungsmittelknappheit, Medikamentenengpässen und Rezession, also den Szenarien, die in Grossbritannien wegen des möglichen ungeordneten Brexit die Runde machen.
Auf der anderen Seite holte Adrian Amstutz zum rhetorischen Gegenschlag aus. Auch die Linken, sagte der Berner SVP-Nationalrat, würden am Topf des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse hangen. Und: «Es ist eine Sauerei, ältere Menschen in die Arbeitslosigkeit zu drängen.» Die Guillotine-Klausel qualifizierte er als «Erpressungsinstrument».
Zur Erinnerung: Kündigt die Schweiz einen Vertrag aus dem Paket der Bilateralen I, fallen die restlichen automatisch weg. Sollte das Volk die Begrenzungs-Initiative annehmen, muss der Bundesrat die Personenfreizügigkeit kündigen. Es sei denn, die Schweiz erzielt dazu mit der EU eine Einigung. Das ist unwahrscheinlich. Und deshalb warnt Bundesrätin Karin Keller-Sutter vor einem «Schweizer Brexit», einem ungeordneten Ausgang aus dem bilateralen Weg.
Und sonst? Die Parlamentarier wälzten mehr oder weniger die gleichen Argumente wie schon bei der Debatte über die Masseneinwanderungs-Initiative. Die SVP zeichnet das Bild einer dichtegestressten 10-Millionen-Schweiz. Ihre Gegner betonten, wie wichtig die bilateralen Verträge für die Wirtschaft seien, man solle nicht mit dem Feuer spielen. Die Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala etwa kann verstehen, dass die Zuwanderung Unbehagen auslösen kann. «Die Schweizer wissen, dass alles seinen Preis hat, auch der Wohlstand und die Prosperität dank der Bilateralen.»
Für Fiala ist aber klar: Die grösste Zeche zahlt das Volk, «wenn wegen der SVP-Initiative die bilateralen Verträge wegfallen». Und der Luzerner Nationalrat und CVP-Vizefraktionschef Leo Müller sagte gegenüber unserer Zeitung: «Die Personenfreizügigkeit hat sich bewährt und die Wirtschaft gestärkt.» Es sei sachlich «nicht gerechtfertigt, die Bilateralen wegen gewisser negativer Begleiterscheinungen aufs Spiel zu setzen.» Die Mehrheit des Parlaments sieht es gleich – und dürfte die Initiative deutlich zur Ablehnung empfehlen.
Für ein bisschen Klamauk sorgte bloss die SP. Allerdings schon im Vorfeld der Debatte, deren Ende auf 22 Uhr terminiert war. Sie rief ihre Sympathisanten auf, für jede von SVP-Vertretern verwendete Standardphrase wie «10-Millionen-Schweiz», «masslose Zuwanderung» oder «Sozialhilfebezüger» einen gewissen Beitrag in die Wahlkampfkasse der Genossen zu spenden. An den SVP-Rednern liegt es jedenfalls nicht, sollte die SP-Wahlkampfkasse gestern nicht angewachsen sein.