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Schweiz
Die Befürworter einer zweiten Gotthardröhre zielen auf alt Bundesrat Moritz Leuenberger. Er habe «ideologisch beschönigte Planungen» zu verantworten, welche Bundesrätin Leuthard nun ausbaden müsse. Ist die Kritik zu Recht?
Noch geht es mindestens fünf Monate bis zur Volksabstimmung über die zweite Gotthardröhre. Der Abstimmungskampf ist allerdings längst im Gang – zumeist auf Sparflamme, doch ab und an flackert er bereits jetzt richtig auf. So geschehen Mitte Woche, als der Bundesrat eine Frage von Nationalrat Fabio Regazzi (CVP, TI) beantwortete.
Bis anhin ging man nämlich davon aus, dass der bestehende Tunnel während insgesamt 140 Tagen vollständig gesperrt werden muss – unabhängig davon, ob eine zweite Röhre gebaut wird oder nicht. Dies, weil «Überbrückungsmassnahmen an der Zwischendecke» vorgenommen werden müssen.
Doch nun ist gemäss Bundesrat plötzlich alles anders: «Vertiefte Untersuchungen» des Bundesamts für Strassen (Astra) hätten ergeben, dass die nötigen Arbeiten «voraussichtlich im Rahmen der regulären Sperrnächte ausgeführt werden können». Mit anderen Worten: Die bestehende Gotthardröhre müsste nicht komplett gesperrt werden, sofern das Stimmvolk dem zweiten Tunnel zustimmt.
Der Bundesrat sagt allerdings nicht, wie viele Sperrnächte für die Sanierung notwendig wären. Die Gegner einer zweiten Röhre befürchten, dass sich diese über Jahre erstrecken und ungemein höhere Kosten verursachen würden. SP-Nationalrätin Marina Carobbio reichte gestern eine Interpellation ein, die vom Bundesrat Antworten auf die offenen Fragen fordert.
Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV), der die Pro-Kampagne für die zweite Röhre orchestriert, nimmt die Kehrtwende des Departements von Bundesrätin Doris Leuthard nun zum Anlass, um auf die politische Arbeit ihres Vorgängers Moritz Leuenberger zu schiessen. Dieser habe nämlich «ideologisch geprägte beschönigte Planungen» zu verantworten, welche die aktuelle Verkehrsministerin jetzt «ausbaden» müsse, sagt Kommunikationschef Bernhard Salzmann.
Der SGV wirft dem alt Bundesrat vor, dass er die Sanierungslösung mit einer zweiten Gotthardröhre «bewusst schlecht dargestellt» habe, um dafür für die Variante mit Verladestationen zu weibeln. Diese hat die Landesregierung in der Zwischenzeit als weniger geeignet taxiert. Konkret habe Leuenberger den Zeitplan für die «Rollende Landstrasse» – bei dieser Variante würden die Lastwagen auf die Bahn verladen – viel zu ambitioniert dargestellt. So ist es gemäss Gewerbeverband realistisch, dass so eine «RoLa» erst ab 2028 oder 2029 in Betrieb sei – viel später als es Leuenberger vor Jahren prophezeit habe.
Der Angeschossene selbst will sich inhaltlich nicht zu den Vorwürfen äussern, wobei ihn die Erklärung des SGV «doch sehr erheitere», sagt Leuenberger auf Anfrage. Auch das Astra kommentiert die Anschuldigungen nicht. Ein Sprecher erklärt allerdings, dass bei einem komplexen Projekt mit Verladestationen insbesondere in der Planungsphase das Risiko von Verzögerungen bestehe.
Umso empörter zeigt sich dafür der Verein Alpen-Initiative. Die Vorwürfe des Gewerbeverbandes seien «billigste Unterstellungen ohne jegliche Faktenbasis», sagt Politikleiter Manuel Herrmann. Es stimme, dass in der Amtszeit von Moritz Leuenberger eine Gotthard-Sanierung ohne zweite Röhre im Vordergrund gestanden sei. Dies aber aus dem einfachen Grund, weil sie «technisch möglich und zudem um Milliarden Franken günstiger» sei.
Hinzu komme, dass die Variante mit Bahnverlad viel weniger zeitkritisch sei, wie auch der Bundesrat bescheinige. Dem ist laut Alpen-Initiative so, weil die Erstellung und der Betrieb der Verladestationen weniger Platz einnehmen würde als der Bau einer zweiten Röhre. Enteignungen von Landeigentümern, die langwierige juristische Verfahren auslösen, sind bei der Option «RoLa» gemäss Herrmann «bedeutend weniger wahrscheinlich».