Coronakrise
«Bare Fake News»: Der schwierige Kampf gegen die Behauptungen eines Lockdown-Gegners

Er ist der Mann hinter den Schweizer Corona-Demonstranten: Christoph Pfluger hält die Corona-Massnahmen in der Schweiz für zu extrem. Wissenschaftsjournalist Beat Glogger wirft ihm vor, die Fakten zu verdrehen. Im «TalkTäglich» trafen die beiden aufeinander.

Mark Walther
Drucken

Der Solothurner Christoph Pfluger ist einer von Hunderten Menschen, die in den vergangenen Wochen in den Schweizer Städten gegen die Corona-Massnahmen des Bundesrats protestiert haben. Er hat selbst viel dafür getan, dass es zu den Kundgebungen kam. Sein Magazin «Zeitpunkt» ist für die sogenannten Corona-Skeptiker eine wichtige Publikation. Darin ruft er zu Mahnwachen auf und kritisiert die Entscheide und die Machtfülle des Bundesrats während des Lockdowns. Er verharmlost aber auch die Pandemie und verdreht Fakten. «Corona – das riesige Nichts», lautet die Titelgeschichte der aktuellsten Ausgabe. Der Tagesanzeiger beschrieb Pfluger als den «Mann hinter den Schweizer Corona-Demonstranten».

Wissenschaftsjournalist Beat Glogger sagt es im «TalkTäglich» auf Tele Züri freiheraus: «Pfluger verbreitet seit ein paar Wochen bare Fake News.» Am vergangenen Sonntag schrieb Pfluger etwa, die Pandemie sei in der Schweiz statistisch irrelevant. Die Sterbe-Zahlen lägen seit Anfang Jahr im langjährigen Durchschnitt und deutlich unter dem starken Grippe-Jahr 2015. Das lässt Glogger nicht stehen: «Er vergleicht völlig falsche Zahlen und lässt die Menschen so in einer Art Halbwissen», sagt der Gründer des Wissenschaftsmagazins Higgs.

Was stimmt: In der Bevölkerung unter 65 Jahren verzeichnet die Schweiz keine Übersterblichkeit. Hingegen sind deutlich mehr Seniorinnen und Senioren während der Corona-Pandemie verstorben, als zu erwarten gewesen wäre. Das zeigt ein Blick auf die Statistik der wöchentlichen Todesfälle des Bundesamts für Statistik:

Screenshot BfS

Gemäss dem Bundesamt war die Übersterblichkeit zwischen dem 16. März und dem 26. April wegen der Corona-Pandemie statistisch bedeutsam. Zwischen dem 30. März und dem 5. April seien 39 Prozent mehr Menschen als erwartet gestorben. Glogger sagt dazu:

Keine Grippewelle in den letzten 30, 40 Jahren hat diese Sterblichkeit erreicht.

Von Verschwörungstheoretikern distanziert

Wirklich diskutiert wurde in der Sendung selten. Pfluger behauptete, Glogger korrigierte. Am Anfang habe man Hochrechnungen aufgrund von extremen Zahlen gemacht, sagte Pfluger etwa. Nun zeige sich, dass sie sich nicht bewahrheitet hätten. Glogger wies ihn mit einem Vergleich darauf hin, dass er dabei die Lockdown-Massnahmen ausser Acht lässt: Jetzt zu sagen, die Massnahmen seien nicht nötig gewesen, sei wie wenn man mit dem Helm Velo fahre und stürze, unverletzt bleibe und dann sage: Den Helm hätte es gar nicht gebraucht. «Wir verdanken den Lockdown-Massnahmen 28'000 Menschenleben», resümiert Glogger. Der Epidemiologe Christian Althaus sagte Ende Februar in einem Interview, ein Worst-Case-Szenario mit 30'000 Toten in der Schweiz sei nicht ausgeschlossen. Derzeit sind in der Schweiz rund 1900 Todesfälle bekannt.

Weder Pfluger noch Glogger hatten einen einfachen Stand in der Sendung. Glogger war vollständig damit beschäftigt, von Pfluger aufgestellte Behauptungen zu korrigieren. Pfluger seinerseits musste sich rechtfertigen, warum er zu Mahnwachen aufruft, an denen auch Rechtsextreme, Antisemiten und Verschwörungstheoretiker teilnehmen. Von diesen Gruppierungen distanzierte er sich auf Nachhaken von Moderator Markus Gilli. Am stärksten in Bedrängnis brachte ihn indes eine Zuschauerin, die der Sendung per Telefon zugeschaltet war. Sie erzählte von ihrem Schwager, der wegen Multipler Sklerose kein funktionsfähiges Immunsystem hat und fragte: «Übernimmt Herr Pfluger mir gegenüber die Verantwortung für meinen Schwager? Es geht darum, dass wir die Schwächsten schützen müssen.»

Pfluger anerkannte, dass Risikogruppen zu schützen seien – um im nächsten Satz gleich Werbung für Herdenimmunität zu machen. Es gehe darum, «dass das Virus durch die Gesellschaft geht», wie er nachreichte. Schätzungsweise 70 Prozent der Bevölkerung müssten sich mit dem Virus angesteckt haben, damit die Ausbreitung zum Erliegen käme. «Das ist ein völlig illusorisches Konzept», entgegnete Glogger. In der Schweiz gebe es 2,6 Millionen Menschen, die zu einer oder mehreren Risikogruppen gehörten. Man könne diese Personen nicht einfach wegsperren.

Die ganze Sendung sehen Sie hier