In zwei Wochen ist es soweit: Die Schweiz stimmt über die umstrittene «Ecopop»-Initiative ab. Warum es ein Irrsinn ist zu glauben, wir könnten Nullwachstum problemlos verkraften. Der Leitartikel.
In Frankreich verkauft sich ein Buch derzeit wie heisse Weggli: «Der französische Selbstmord» des jüdisch-algerischen Journalisten Eric Zemmour zeichnet ein dramatisches Bild vom gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Niedergang der Grande Nation seit den 1970er-Jahren.
Das Land sei von Amerika-hörigen, geldgeilen Eliten sukzessive verkauft und heruntergewirtschaftet worden. Die Masseneinwanderung aus dem Maghreb habe letztlich nur dazu gedient, den neoliberalen Patrons billige Arbeitskräfte zuzuhalten.
Das polemische Werk stösst zumindest in der Romandie auf reges Interesse: Unsere welschen Landsleute nehmen aus sicherer Distanz mit einer Mischung aus Mitleid, Schadenfreude und echter Besorgnis an der kollektiven Depression im westlichen Nachbarland teil, das mit hoher Arbeitslosigkeit und massiver Verschuldung zu kämpfen hat.
Die Diskussion in der Schweiz freilich läuft komplett anders: kaum Arbeitslose, wenig Schulden, ein vergleichsweise effizienter Staat und ein hoher Lebensstandard für die Bürgerinnen und Bürger, wie eine Studie erneut gezeigt hat.
Längst sind die depressiven 90er-Jahre vergessen, als das Land mühsam nach Wegen aus der chronischen Wachstumsschwäche suchte.
Im Gegensatz zu Frankreich und Südeuropa herrscht Überfluss. Gleichzeitig bricht sich eine seltsame Lust Bahn, am eigenen Ast zu sägen. Grundsätzliche Wachstumskritik ist links wie rechts en vogue, wobei die Schuld an der überbauten Wiese gerne den Ausländern in die Schuhe geschoben wird. Stau und volle Züge nerven, gewiss. Nur die Verantwortung dafür tragen die anderen.
Es ist absurd: Während sich Resteuropa fragt, wie der Wirtschaftsmotor endlich in Schwung gebracht werden könnte, diskutieren wir zwischen Genfer- und Bodensee, ob es nicht weniger sein darf.
Wohlstandsverdruss im Steuerparadies. Das welsche Wochenmagazin «L’Hebdo» titelt in Anlehnung an Eric Zemmours Buch in seiner jüngsten Ausgabe: «Ecopop und Co: Der Schweizer Selbstmord».
Die Initiativen bedrohten den Wohlstand. Ausgerechnet die direkte Demokratie bringe das schweizerische Erfolgsmodell zu Fall, um das uns so viele Europäer beneideten.
Die Feststellung ist nicht übertrieben. Ein Ja zu Ecopop – oder auch zur abstrusen Goldinitiative – würde der schweizerischen Volkswirtschaft tatsächlich massiven Schaden zufügen.
Es ist Irrsinn zu glauben, wir könnten Nullwachstum problemlos verkraften. Die moderne Schweiz funktioniert nur, wenn es aufwärtsgeht. Unser Wohlstand hängt direkt von einer liberalen, weltoffenen Wirtschaftsordnung ab.
Die Schweiz im Schneckenhaus – das hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Die Eidgenossenschaft hat die Ränkespiele der europäischen Grossmächte deshalb überlebt, weil sie sich pragmatisch arrangiert und stets einen Mittelweg zwischen Souveränität und Anpassung gefunden hat. Ein Ja zu Ecopop aber zerstört die bilateralen Verträge mit der EU – mithin die Basis eines geregelten Verhältnisses zu unseren direkten Nachbarn.
In zehn Jahren ist die Baby-Boom-Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg das Licht der Welt erblickte, pensioniert. Heute kommt auf 3,6 Erwerbstätige ein Rentner.
2050 sind es noch 1,9 Erwerbstätige, die einen Pensionär finanzieren müssen. Wir stehen vor einer Kostenexplosion in den Sozialversicherungen.
Ähnlich sieht es im Gesundheitswesen aus – alte Menschen verursachen bekanntlich die höchsten Rechnungen. Mittelfristig können Zehntausende Stellen nicht mehr besetzt werden. Unsere Wirtschaft ist zu gross und die Fertilität zu gering.
Wer soll das alles bezahlen, wenn nicht die Zuwanderer? Es ist Zeit, ehrlich zu sein: Immigranten und Wachstum sind unverzichtbar, wenn wir unseren Wohlstand behalten wollen.