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Schweiz
Die Landesregierung erweitert ihre Palette an Regulierungsinstrumenten – mit Methoden aus der Verhaltensforschung. Und was hat das Parlament dazu zu sagen?
Unverbindliche Appelle hier, rigorose Vorschriften dort. Das war gestern. In immer mehr Ländern setzen Regierende auf einen «dritten Weg», um ihre Politik durchzusetzen. Nudging heisst die Lehre von Verhaltensökonomen, nach der Bürgerinnen und Bürger nicht mit Verboten oder wirtschaftlichen Anreizen, sondern mit Anstupsern in die erwünschte Richtung gelenkt werden sollen.
Die Methode macht sich das schlechte Gewissen eines Menschen zunutze – und will ihn so etwa dazu bewegen, sich gesünder zu ernähren oder weniger Strom zu verbrauchen. Hinter den Kulissen tüfteln Bundesbeamte schon länger daran, wie sie sich Nudging zu eigen machen können. Das zeigten Recherchen der Redaktion von CH Media diesen Sommer.
Nun äussert sich der Bundesrat erstmals grundsätzlich dazu, wie er die Methode nutzen will. Aus seiner Sicht erweitert Nudging «die Palette an möglichen Regulierungsinstrumenten». Die Anstupser könnten «insbesondere als Alternative zu Regulierungen mit einem höheren Interventionsgrad, wie Verbote oder Obligatorien, geprüft werden». Das schreibt die Landesregierung in ihrer Stellungnahme zu einem Vorstoss des Aargauer SVP-Nationalrats Thomas Burgherr.
Der Bundesrat unterstreicht darin, dass Nudging «zum Teil mit verhältnismässig geringen gesamtwirtschaftlichen Kosten» helfen könne, ein Regulierungsziel zu erreichen. Laut offizieller Darstellung enthält die Methode als politisches Gestaltungsmittel keinen Zwang und keine Vorschriften. Die persönliche Entscheidungsfreiheit bleibe immer gewahrt – frei nach dem Credo: Der Staat stupst nur, er verbietet nicht.
Welche staatliche Stellen bereits auf Nudging setzen, kann der Bundesrat indes nicht abschliessend beantworten. «Der Einsatz von Massnahmen, welche sich zum Teil auf verhaltensökonomische Erkenntnisse stützen, wird nicht systematisch erfasst», heisst es dazu bloss.
Klar ist: An vorderster Front dabei sind insbesondere die drei Bundesämter für Umwelt, Gesundheit und Energie. Sie liessen unter anderem verhaltensökonomische Leitfäden entwickeln. Ebenso werden Nudging-Ansätze etwa auch im Programm «Energie Schweiz» oder bei der «Energieetikette» eingesetzt.
Immerhin: Der Bundesrat verspricht eine «offene Kommunikation». Er will staatliche Anstupser stets transparent machen. Was aber ist juristisch davon zu halten, wenn Bürgerinnen und Bürger in die vermeintlich «richtige» Richtung gelenkt werden sollen? Ist jeder Anstupser von rechtsetzenden Bestimmungen flankiert?
Je nach Ausgestaltung könne Nudging im Rahmen bestehender Kompetenzen eingesetzt werden, hält der Bundesrat fest. Zugleich betont er:
Andernfalls bedarf es der Schaffung neuer gesetzlicher Grundlagen, wie dies auch bei Verboten, Subventionen oder Lenkungsabgaben grundsätzlich der Fall ist.
Kritiker bemängeln, dass man gegen Nudging heute kaum juristisch oder demokratisch vorgehen kann. Anders als bei klaren Regulierungen, bei denen jeder weiss, was erlaubt ist und was nicht, basiert Nudging nicht zwingend auf scharfen Normen.
Eine grundsätzliche politische Debatte darüber wurde in der Schweiz bislang nicht geführt. Das will SVP-Nationalrat Burgherr ändern. Er kündigt weitere Schritte an. Dabei denkt er auch an die Coronakrise, in der die Behörden nebst eigentlichen Verboten und Appellen mitunter faktisch auch auf Nudging-Ansätze setzen. Dabei wollen sie die Bürger dazu bringen, «im Sinne des Allgemeinwohls» als wichtig erachtete Dinge zu tun, die sie ansonsten nicht tun würden.
Nebst vielen anderen Bereichen zeige gerade das Beispiel Corona, sagt Burgherr, dass über Nudging «im Parlament diskutiert und die gewonnenen Erkenntnisse in den entsprechenden Stellen umgesetzt werden sollen».