Fitness
Anforderungen an Rekruten gesenkt: Für die RS braucht man nicht mehr topfit zu sein

Die Armee kriegt nicht mehr genug Rekruten. Nun wurden die Aufnahmekriterien für manche Truppengattungen gelockert. Bereits seit 2014 startet die RS mit einem extra sanften Einstieg.

Sabine Kuster
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Wer bei der Aushebung eingeschränkt tauglich ist, soll künftig Dienst leisten.Gaetan Bally/Keystone

Wer bei der Aushebung eingeschränkt tauglich ist, soll künftig Dienst leisten.Gaetan Bally/Keystone

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Augen wie ein Sperber, Beine wie ein Wiesel, Ohren wie ein Luchs? Nein, die heutigen Soldaten müssen nicht mehr alle spitze sein. Ein Soldat, der bei der Armee für die Cyber-Abwehr, also für die Verteidigung von Hacker-Angriffen im Internet, zuständig ist oder Büroarbeiten erledigt, muss körperlich nicht topfit sein.

Die Armee hat im vergangenen Herbst im Rahmen der Weiterentwicklung der Armee (WEA) das Anforderungsprofil für Rekruten angepasst, sprich gesenkt. Armeesprecher Mirco Baumann sagt: «Es wurden Funktionen ausgewiesen, in denen Rekruten mit medizinischen Einschränkungen eingesetzt werden können.»

Beispielsweise galt früher einer, der einmal einen Kreuzbandriss erlitt, als untauglich. «Mit eingeschränkter Tauglichkeit könnte ein solcher Stellungspflichtiger nun Dienst leisten», so Baumann, «zum Beispiel im rückwärtigen Dienst.» Auch Männer mit Rückenproblemen können eingeschränkt tauglich sein. Generell wurden die Anforderungen nicht gesenkt: Für Grenadiere gelten dieselben Anforderungen wie früher.

Der Grund für die Änderung: Die Armee kann nicht mehr genug junge Schweizer rekrutieren. Mindestens 18'000 Männer sollten jedes Jahr die RS beginnen. «In den letzten drei Jahren waren es jedoch jeweils nur 17'500 Rekruten», sagt Renato Kalbermatten, Sprecher des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). «Kurzfristig ist das kein Problem, aber längerfristig würde es die Armee schwächen», so Kalbermatten. «Unser Ziel ist es, genügend Leute zu rekrutieren für eine leistungsfähige Armee.»

Indem das Anforderungsprofil gesenkt wird, soll das Defizit an Rekruten wieder ausgeglichen werden. Die Armee hofft um eine Steigerung von zwei bis drei Prozent.

Wahlrecht statt Wehrpflicht

Dasselbe fordert die Sicherheitskommission des Nationalrates mit einem Postulat, wie die Pendlerzeitung «20 Minuten» diese Woche berichtete. Kommissionsmitglied und St. Galler FDP-Nationalrat Marcel Dobler sagt auf Anfrage der az, die Kommission habe nicht gewusst, dass die Armee die Anforderungen bereits angepasst habe.

Doch er sagt: «Die Armee muss auf jeden Fall dranbleiben. Ich frage mich, wie umfassend die Liste mit den medizinischen Ausschlusskriterien angepasst wurde. Wir wurden nicht informiert.» Dobler findet es stossend, dass einer, der nur vorgibt, täglich Drogen zu nehmen, damit er nicht in die RS muss, einfach als untauglich eingestuft wird. «Seit 2009 die Gewissensprüfung abgeschafft wurde, ist die Wehrpflicht zum blossen Wahlrecht verkommen.»

Die Armee hat schon früher Massnahmen ergriffen, um genügend Rekruten zu erhalten. Das Senken des Anforderungsprofils ist kein Novum. Bereits 2008 gab die hohe Untauglichkeitsrate zu reden: Damals wurden rund 40 Prozent der Stellungspflichtigen nicht zum aktiven Wehrdienst zugelassen. Die Armee überarbeitete schon damals den Katalog von Gebrechen, die zur Untauglichkeit führten. Zum Vergleich: 2015 wurden 48 Prozent nicht zum aktiven Wehrdienst zugelassen.

Im Jahr 2014 ordnete die Armee Massnahmen an, um die Anzahl der Rekruten, welche die RS abbrechen, zu reduzieren. Die Änderungen sollten den Einstieg in die RS sanfter machen. «Zum Beispiel weniger Druck in der ersten RS-Woche, kontinuierliches körperliches Aufbautraining, mehr Schlafenszeit etc.», sagt Mirco Baumann.

Auch untauglich ins Militär

Ob die neusten Massnahmen zu genügend Rekruten führen, wird sich noch zeigen. Die Rekruten, für welche das neue Anforderungsprofil gilt, beginnen die RS 2018.

Übrigens: Theoretisch darf fast jeder, der will, die RS machen – selbst wenn er untauglich ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied 2010, dass auch ein Diabetiker in der Schweiz Dienst leisten dürfe. Seit 2013 kann daher, wer nicht voll einsatzfähig ist, einen kurzen, eingeschränkten, waffenlosen Militärdienst absolvieren. 2016 waren es 100 Personen, denen ein solcher Antrag bewilligt wurde.