Der Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner verdankt seinen politischen Aufstieg seiner Rolle als harter Hund und besuchte jetzt Flüchtlingscamps.
Das Säli ist reserviert, Vorhänge dämpfen das Licht, Prosecco perlt im Glas. Da macht der Gastgeber zwei Leute zu Tischnachbarn, die sich nie zuvor begegnet sind: Nationalrat Andreas Glarner und diesen Zeitungsfritzen, Autor der «Nordwestschweiz».
Ausgerechnet Glarner, der «Asyl-Amok aus dem Aargau» («Blick»), der für Propaganda Flüchtlingsbabys knutscht (wieder im «Blick»). Drum gleich in medias res – schliesslich trifft sich die Runde erklärtermassen unter dem Attribut liberal: «Herr Glarner, eben hätten Sie – oh pardon, zum Wohl! Eben beschrieb man Sie als eine Art Ersatzfigur für den Chindlifrässer-Brunnen in Bern. Und jetzt pilgern Sie, über Nacht, auf dem leuchtenden Pfad zu Mutter Teresa?»
Glarner lächelt – «wieder dieses seltsame Lächeln», schrieb mal der «Tages- Anzeiger». Es ist ein Lächeln mit geschlossenen Lippen, immer etwas spitz, wohl nur deshalb, weil Glarners ganze Physiognomie verzogen scheint, mit Bündelungsspitze Nase. Die «Weltwoche» las «Schalk» darin, andere «Arroganz». Oder auch «Grinsen», eisern geklammert durch die Mundwinkel: die kaum verhohlene Lausbuben-Freude daran, dass ein weiteres, sorgfältig platziertes Chäpsli gezündet hatte, mitten im Totschweigen des Polit-Bannwalds.
Okay, hier wird schamlos vom Äusseren aufs Innere geschlossen: Hobby-Lavaters aber muss Glarner gewähren lassen, seit er dasselbe versucht hatte bei zwei aufsässigen Kritikerinnen. «War keine Sternstunde gewesen», sagt er heute, «da werde ich künftig ein Stüfeli mehr überlegen.» Länger als jene 24 Stunden, die er ohnehin veranschlage, bis er jeweils reagiere.
Sei es die Rolle des Wachhunds, sei es der gute Onkel im Flüchtlingscamp. Oder «Vater-ist-der-Beste», wie neulich in der «Schweizer Illustrierten»: Was ist Glarner wirklich? Kaum ein Nationalrat war dieses Halbjahr häufiger in den Schlagzeilen. Trotzdem zieht Glarner wiederholt auch nur die rasch verdichtete, rasch verdünnte Spur eines Kugelblitzes oder Spuks. So viel kantige Zeichnung, so wenig Umriss – inwieweit wäre er selber daran schuld?
Fraglos verdankt Glarner den Blitzaufstieg ins SVP-Politbüro weitgehend seiner «Präsenz»; der Hoffnung oder dem Wahn, ein Weltproblem liesse sich oberwil-lieli-sieren. Im Politbüro, sagt Glarner, hätte er gern das Dossier Finanzen/Finanzkontrolle übernommen; zugeschoben wurde ihm das Dossier Asyl. Mit dem Rat, fortan feiner zu dosieren. Von Glarners «Stacheldraht an der Schweizer Südgrenze» distanzierte sich Parteichef Rösti. Möglicherweise missfiel auch Onkel Andreas im griechischen Flüchtlingscamp. «Die ständige Glarner-Show nervt», schrieb die «BaZ» nach den Babyfotos. Der «Clown», mittlerweile «süchtig nach Aufmerksamkeit», gefährde den «dringend notwendigen Kurswechsel im Asylwesen».
In Zeiten, da die Politik beliebig den PR-Regler dimmt zwischen Weichzeichner und Flutlicht, ist es schwierig zu ergründen, wer am Ende welche Show inszeniert. Im Fall von Glarners Flüchtlingsbesuch verhält es sich so: Lange wusste er nichts von einer Begleitung durch den «Blick»; die wurde von dritter Seite eingefädelt, das bestätigt der mitgereiste Fotograf. Kinder mögen Glarners Herz gerührt haben – so was kann man glauben oder nicht, auf Wahrhaftigkeit prüfen freilich nie. Man kann lediglich andere Kinderfotos daneben setzen: Jene, die Glarner nutzte, um bei Erneuerungswahlen den damals amtierenden Regierungsrat Rainer Huber aus dem Amt zu drängen.
Nach den Flüchtlings-Babys war er plötzlich der Narr im Umzug. Glarner sagt, er sei erschrocken: In welcher Absicht wurde hier der Zweihänder ausgepackt? Moment, Herr Glarner: Argwöhnen Sie, mit Ihnen werde gespielt wie mit einer Figur auf dem Schachbrett der Partei? Seine Rolle wäre der Rundum-Schnapper, frisch besetzt nach Mörgelis Abwahl?
«Ich bin für viel zu gebrauchen», sagt Glarner entwaffnend direkt: «Selbstverständlich ist Politik ein Schachbrett. Ich bin gern bereit, richtig eingesetzt zu werden vom Feldherrn.» Ein Parteisoldat? «Das ist man sowieso. Ich fühle mich extrem wohl in der Partei.» Fraktionschef Amstutz führe mit eiserner Hand, das sei nur klug und gut. «Hör auf mit dem Twitter-Seich», sagte Amstutz neulich zu ihm, wie nebenher. Der Novize verstand den Wink sofort. Denn «die Partei ist hierarchisch korrekt durchstrukturiert».
Bereitet Politik Lust? Nährt vielleicht einen machiavellistischen Narzissmus im helvetischen Parlaments-Format? «Dieses seltsame Lächeln ...», das der «Tages-Anzeiger» bei Glarner aufgefallen war, zeichnet gewiss einen Roger Köppel aus. Gescholten, beschimpft wie Glarner, zeigt Köppel die gleiche unverwüstliche Befriedigung, ständig Blitz, Donner und Shit auf sich zu ziehen – oder dann die Bewunderung von Couch-Potatoes für einen «Arena»-Winkelried wie ihn. «Es gibt glühende Fans», sagt Glarner, «die Selfies machen mit mir. Es gibt Neuzuzüger, die sagen, sie kämen nach Oberwil-Lieli wegen unserer Haltung zur Asylfrage.»
Aber dann legen diese Ironmen des Shitstorms regelmässig auch selber Hand an, um entlang von Social-Media-Kanälen Schieber zu öffnen, worauf sich schmutzige Brühe von neuem über alle Spielwiesen der Öffentlichkeit ergiesst. Es scheint ein Spass unter Lausbengeln wie Bäch-Stauen. SVP-Granden blühen auf dabei, statt zu zermürben. Macht es wirklich Spass, naiven Leuten ständig Fallen zu stellen?
«Bei Plakaten hat es hervorragend funktioniert», lächelt Glarner wieder, ohne mit der Wimper zu zucken: «Bei ‹Maria statt Scharia›. Oder ‹Kopf hoch statt Kopf ab› – und dieses Plakat hing noch nicht einmal aus!» Die genannten Sujets habe alle er erfunden, sagt er, Sohn eines Werbe- und Inserate-Fachmanns: «Es käme mir nicht in den Sinn, dergleichen vorher der SVP Schweiz zu zeigen. Die groben Geschichten allerdings erörtern wir in der SVP Aargau.»
Hat Glarner je Herablassung verspürt wegen seiner nichtakademischen Bildung? «Nicht in der Partei, im Gegenteil.» Und in der eingehockten Gesellschaft? Ist er stubenrein genug für Kreise, die sich für fein halten – Bourgeoisie-Royals, altes Geld? Oder gleicht er da dem Hund, der sich ausschüttelt im gebohnerten Palais der Politik.
«Ich stelle fest», antwortet Glarner, «wirtschaftlich bin ich erfolgreich. Wäre mithin wählbar für gewisse Verwaltungsräte. Aber da nimmt man lieber Leute aus dem Mainstream. Firmen müssen aufs Image achten, verständlicherweise. Ich halte mich ans afrikanische Sprichwort: ‹Ein Hund mit Knochen im Mund beisst nicht mehr.›»
Auch da kann man klüger werden durch Erfahrung: Glarner besuchte ein zweites Flüchtlingscamp, diesmal in der Türkei, nicht in Griechenland. Jetzt «inkognito», ohne Journalisten.
Letzte Woche hatte Glarners Gemeinde beschlossen, «in kleinem Rahmen» künftig Hilfe vor Ort zu leisten. Abhängig davon, haben offenbar auch Private Spenden in Aussicht gestellt. Eine syrische (und christliche) Flüchtlings-Familie will Oberwil-Lieli aufnehmen. Und Glarner wird weiter lächeln und sirachen, ganz der Alte (siehe Box unten).
Mit welchem Traum oder Ziel?
«UNO-Generalsekretär.»
Knapp eine Woche ist es her, und der Schlag schmerzt immer noch. SVP-Nationalrat Andreas Glarner am Telefon schiesst gleich los: «Himmeltraurig. Eine Sauerei.» Glarner sitzt in der Staatspolitischen Kommission, die letzte Woche im Verhältnis von 16:9 den sogenannten Inländervorrang light beschlossen hat. Keine Kontingente, keine Zuwanderer-Obergrenze, wie es die Masseneinwanderungs-Initiative fordert.
Der Kommissionsbeschluss, sagt Glarner, sei zustande gekommen dank einer «links-grün-fromm- und weichsinnigen Koalition». Das ist der bekannte Glarner-Sound, und der Schmerz über «das Ende der Demokratie» darum auch nur ein Phantom? Wurde die SVP wirklich überrumpelt? «Wir haben so was kommen sehen, ja. Aber den Volkswillen derart zu missachten, ist ein starkes Stück. Die anstehende Debatte im Parlament dürfte nicht über die Bühne gehen ohne Absingen wüster Lieder.»
In diesem Chor wird wohl auch Glarners Stimme zu hören sein. «Als Neuling in Bern kann ich nicht das grosse Wort führen», sagt er, «aber einigen Damen und Herren muss man schon den Spiegel vorhalten.»
Was sagt er zu jenen Vertretern im Ständerat, die offenbar für eine Verschärfung des Inländervorrangs plädieren? Ihnen zufolge müssten offene Stellen nicht bloss gemeldet, sondern inländische Stellensuchende vorgeladen werden zum Gespräch. «Da bleibt noch zu ergründen», antwortet Glarner, «ob das für die Wirtschaft nicht noch dümmer wird.» Die Auswahl an Stellensuchenden, unter denen man dann wählen müsse, sei nach aller Erfahrung nämlich «erschütternd». (mad.)