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Schweiz
Das Strafgesetz regelt viele Details, aber die Suizidhilfe reguliert es nur in den Grundzügen. Gerade deshalb hat es sich bewährt.
Heute steht die Baselbieter Suizidhelferin Erika Preisig wieder vor Gericht. Verhandelt wird eine Frage, die im Gesetz nicht geregelt ist. In welchen Fällen muss ein Psychiater beurteilen, ob ein Patient die Konsequenzen seines Sterbewunsches versteht? Das Bundesgericht hat vor fünfzehn Jahren die Regel aufgestellt, dass bei schweren psychischen Krankheiten ein Gutachten zur Urteilsfähigkeit notwendig sei.
Nicht definiert ist aber, welche Diagnosen darunter fallen. Die Baselbieter Staatsanwaltschaft legt die Regel streng aus und zählt alle psychischen Krankheiten dazu. Preisig hingegen legt die Regel locker aus und zählt nur schwere psychische Krankheiten dazu. Wer sich das Leben nehmen will, hat schliesslich meistens auch ein psychisches Problem.
Im Interview mit dieser Zeitung sagte Preisig: «Ich stehe mit einem Bein im Gefängnis.» Sie bezog die Aussage nicht nur auf den aktuellen Prozess, sondern auf ihre Arbeit generell. Fragen wie jene zu den Gutachten sind im Gesetz nämlich nicht geregelt. Preisig kritisiert Rechtsunsicherheit und fordert ein spezielles Gesetz zur Suizidhilfe.
In der Schweiz sind derzeit nur die Grundsätze geregelt. Wichtig sind drei Punkte.
1. Erlaubt ist passive Suizidhilfe. Eine Ärztin darf das Sterbemittel deshalb nur bereitstellen, die Patientin muss es sich selber verabreichen.
2. Zudem ist Suizidhilfe aus «selbstsüchtigen Beweggründen» verboten. Die Preise müssen also angemessen sein.
3. Und allgemein gilt, dass die Patienten in Bezug auf ihren Sterbewunsch urteilsfähig sein müssen. Sie dürfen zwar zum Beispiel geistig nicht in der Lage sein, ihre Finanzen zu managen, aber sie müssen ihren gesundheitlichen Zustand einschätzen können und die Endgültigkeit ihres Todes verstehen.
Dadurch ist das Wichtigste geregelt. Die Schweiz hat damit gute Erfahrungen gemacht. In den Nachbarländern wird Suizidhilfe aufgeregt debattiert. Hierzulande ist das Thema hingegen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Das hat auch mit der weitsichtigen Gesetzesregelung zu tun, die unsere Vorfahren geschrieben haben.
Die drei grossen Deutschschweizer Freitodorganisationen haben unterschiedliche Wege gefunden, um mit der liberalen Regelung umzugehen.
Exit, der grösste Verein, verhält sich übervorsichtig. Bei manchen Krankheiten verlangt er sogar zwei psychiatrische Gutachten, also mehr als vorgeschrieben. Dies hat den Nachteil, dass einige Patienten, die Anspruch auf Suizidhilfe hätten, eine Absage erhalten. Der Vorteil ist, dass Exit juristisch auf der sicheren Seite bleibt.
Dignitas, die Nummer 2 der Branche, ist die Kampforganisation. Chef Ludwig Minelli ist Anwalt und versteht Gerichtsverfahren als einen Teil seines Jobs. Er kämpft und gewinnt. Bisher ist er am Schluss nämlich immer freigesprochen worden. Die Zürcher Staatsanwaltschaft hatte ihm zum Beispiel vorgeworfen, Wucherpreise zu verlangen. Vor Gericht wurde deshalb seine Buchhaltung durchleuchtet und für gesetzeskonform befunden. Nun besteht Klarheit.
Preisig ist Präsidentin der drittgrössten Freitodorganisation Eternal Spirit. Sie ist eigentlich harmoniebedürftig wie Exit, aber manchmal eben doch kämpferisch wie Dignitas. Sie hat sich entschieden, den letzten Wunsch einer 66-jährigen Frau zu erfüllen, obwohl sie die rechtlichen Voraussetzungen nicht klären konnte. Hätte sie sich wie Exit verhalten und der Seniorin eine Absage erteilt, stünde sie jetzt nicht vor Gericht. Preisig hat sich anders entschieden und dadurch einen Strafprozess provoziert. Dieser trägt jetzt dazu bei, dass es eben gerade kein spezielles Gesetz braucht. Die Rechtsprechung zeigt anhand von Einzelfällen wie diesem auf, wie weit eine Suizidhelferin gehen darf.