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Schweiz
Seit fast 50 Jahren ist Oswald Sigg (74) Mitglied der SP und der Gewerkschaften. Er arbeitete für die SP-Bundesräte Willi Ritschard, Otto Stich und Moritz Leuenberger, für Adolf Ogi und Samuel Schmid (SVP), zuletzt war er Vizekanzler und Bundesratssprecher. Aber jetzt ist der altgediente Sozialdemokrat gar nicht mehr zufrieden mit seiner Partei.
«Die SP vertritt, wenn auch aus anderen Beweggründen, immer öfter die gleichen Positionen wie die SVP», sagt Sigg und spricht von einem «Warnsignal für jeden politischen Bürger». Denn wenn Corrado Pardini neben Christoph Blocher in der «Arena» stehe, dann stimme etwas nicht. «Wenn die Polparteien zusammen gehen, wenn Nord- und Südpol zusammen kommen, dann ist das eine politische Klimakatastrophe», sagt Sigg.
Aufgeschreckt hat ihn jetzt «das bisher schlimmste Beispiel, das brandgefährliche Theater um das Rahmenabkommen», das die SP-Spitze um Präsident Christian Levrat aufführe. Mit ihrer ruppigen Ablehnung des Abkommens spiele die Parteispitze um den Freiburger Ständerat der «nationalen, ja nationalistischen SVP in die Hand, jener Partei, die den rechtskonservativen bis rechtsextremen EU-Abschaffern in der EU als Vorbild» diene.
«Dem Rahmenabkommen zustimmen und den Lohnschutz mit innenpolitischen Massnahmen sicherstellen»: Das ist das Rezept des Soziologen und Ökonomen Sigg. «Stattdessen wollen wir der EU diktieren, zu welchen Bedingungen wir der EU nicht beitreten – das ist die spiegelverkehrte Version der unsäglichen Brexit-Diskussion der Engländer.» Durch das Schlechtreden der EU aber würden die Anti-Demokraten in der EU in fataler Weise gestärkt. Wenn dies jetzt selbst europafreundliche Kreise wie die SP täten, sei es umso verhängnisvoller. «Das Friedensprojekt Europa ist existenziell bedroht – und die Schweiz ist dabei das Vorbild all jener Kreise, die die EU zerstören wollen. Mit dieser Vorreiterrolle befördert die Schweiz das Scheitern des Friedensprojekts», sagt Sigg. Die Schweiz als EU-Killerin also.
Das wäre ein böses Ende. «Zwar profitiert die Schweiz bisher wirtschaftlich, aber politisch verliert sie. Und wenn das Projekt EU scheitert, wird sie einen hohen Preis zahlen», steht für ihn fest.
Für Sigg ist klar: «Es braucht keinen Mut, zum Rahmenabkommen Ja zu sagen. Mut braucht es, um Ja zum EU-Beitritt zu sagen – aber genau in diese Richtung müsste die SP Schweiz arbeiten. Sie muss wieder zum Ziel stehen, die EU von innen heraus zu verbessern und zu demokratisieren. Heute haben wir den Status eines Trittbrettfahrers. Wir müssten aber solidarisch sein mit der EU, in den Zug einsteigen und ihn auf andere Gleise bringen.» Denn nur so, davon ist der ehemalige Vizekanzler überzeugt, sichert sich die Schweiz mittel- und langfristig ihren Wohlstand, ihre Eigenständigkeit und ihre direkte Demokratie. «Souverän ist man nicht ausserhalb der EU, im Gegenteil.»
Er formuliert auch generelle Kritik an seiner SP. «Sie hat seit Jahrzehnten keine Zukunftsprojekte mehr vorgelegt. Sie verwaltet statt zu gestalten.» So habe die SP seit langem keine Volksinitiative mehr lanciert, die Grundsätzliches bewegen wolle. «Die SP sagt zu Initiativen wie beispielsweise dem Grundeinkommen regelmässig nein.» Sigg war einer der Mitinitianten des Volksbegehrens. Jetzt ist er Mitinitiant der Initiative für eine Mikrosteuer auf dem Zahlungsverkehr. «Hoffentlich macht die SP da wenigstens mit».
Er ist überzeugt, dass es für Probleme wie Demokratie, soziale Ungleichheit oder Migration neue und vor allem auch internationale Ansätze braucht. Nur: «Der SP fehlt der Mut zu neuen Ideen», sagt Sigg.
Die Standpauke des Oswald Sigg. Und jetzt, tritt der ehemalige Vizekanzler aus der SP wie Chantal Galladé? Sigg winkt ab: «Im Gegenteil: Wer nicht zufrieden ist, muss sich stärker engagieren.»