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Der Berner Alt-Bundesrat klärt für das Internationale Olympische Komitee ab, ob in Russland der Staat verantwortlich ist für das Doping im Sport.
In der öffentlichen Wahrnehmung war er seit längerem nicht mehr präsent. Auch wenn Alt-Bundesrat Samuel Schmid, 70, am letzten Freitag in Chur die Delegiertenversammlung der Winterhilfe Schweiz leitete und dabei eine ausgewogene Jahresrechnung präsentierte.
Hinter den Kulissen brütet Samuel Schmid allerdings seit Monaten an weltpolitisch wichtigen Fragen: Er klärt für das Internationale Olympische Komitee (IOC) ab, ob der russische Staat systematisch involviert war in die Dopingvergehen an den Winterspielen von Sotschi 2014. Das IOC setzte im September 2015 eine fünfköpfige Disziplinarkommission unter der Leitung von Schmid ein. Dieser ist seit 2008 Mitglied der IOC-Ethikkommission.
Damit befindet sich Schmid mitten in den Wirren eines neuen Kalten Krieges, den Russland und die USA über den Sport austragen. Die Ergebnisse von Schmids Kommission bilden die Grundlage dafür, ob das IOC an seiner Exekutivsitzung vom 5. bis 7. Dezember Sanktionen gegen Russland verhängt – zum Beispiel den Ausschluss von den Winterspielen 2018 im südkoreanischen Pyeongchang.
Die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) hat bestätigt, dass sie Ende Oktober durch einen Whistleblower in den Besitz brisanter Dokumente gekommen ist. Es sind die Kontrolldaten sämtlicher Dopingtests des Moskauer Labors zwischen Januar 2012 und August 2015. In Moskau sollen in dieser Zeit Hunderte von Tests russischer Sportler mit staatlicher Hilfe vertuscht worden sein. Die Wada schreibt betreffend Staatsdoping, diese Unterlagen würden «die Beweislage stärken». Sie bestätigt, dass sie die Dokumente auch den beiden IOC-Kommissionen von Samuel Schmid und Denis Oswald zur Verfügung gestellt hat. (rs)
«Wir sind noch immer an der Arbeit», sagt Samuel Schmid gegenüber der «Nordwestschweiz». «Wir tun dies nach bestem Wissen und Gewissen.» Die Kommission werde dem IOC zwar «eine Empfehlung» abgeben. «Das IOC entscheidet dann aber, was es für richtig hält.» In welche Richtung seine Empfehlungen gehen werden, sagt der ehemalige Sportminister nicht.
Putin warf den USA vor, wie russische Agenturen berichteten, sie wollten bei den Wahlen Probleme schaffen «als Antwort auf unsere angebliche Einmischung in ihre Präsidentschaftswahlen». Die USA übten deshalb über Vertragspartner unzulässigen Druck aus auf das IOC für eine Sperre Russlands. Die USA hätten die Kontrolle über die wichtigsten Partner des IOC für Fernseh-, Sponsoren- und Werberechte, da diese in den USA sässen.
Samuel Schmid ist im Bild über diese Entwicklungen. Entsprechend sorgfältig bereitet seine Kommission den Abschluss der Untersuchung vor. «Wir wollen der Wahrheit so nahe wie möglich kommen», sagt er. «Genauso, wie das ein Gericht auch versucht.» Das sei aber «nicht sehr einfach». Die Arbeit der Kommission sei nicht vergleichbar jener einer staatlichen Untersuchungsbehörde. Diese habe hoheitliche Funktionen, könne Zeugen unter Strafandrohung vorladen. «Wir hingegen sind gezwungen, weitgehend auf offene Quellen zu setzen. Wir können keine Zeugen vorladen. Wir können sie nur einladen und auf ihren Goodwill hoffen auszusagen. Das haben wir so oft wie möglich getan.» Das IOC sei kein Staat, obwohl es immer wieder so behandelt werde. «Das IOC ist eine Privatorganisation.»
Schmid war zwischen 2001 und 2008 Sportminister der Schweiz. Seither sitzt er in der Ethikkommission des IOC. Er weiss, dass es im Sport um mehr geht als nur um die Losung «schneller, stärker, weiter» für die Athleten und um das olympische Motto «Dabeisein ist alles». Staaten nützen den Sport, um sich internationale Reputation aufzubauen. Das historische Paradebeispiel dafür war die DDR. Sie hatte ein staatlich gelenktes Sport-System aufgebaut, das auf Doping beruhte.
Die Frage ist, ob Russland als Gastgeber der Winterspiele von Sotschi 2014 seinen ersten Platz im Medaillenspiegel ebenfalls über ein staatlich gelenktes Doping-System erreichte.
Für den Staat habe dieser Erfolg eine enorm wichtige Rolle gespielt, sagte Alexander Gabuev im «Wall Street Journal». Er ist vom Carnegie Moscow Center in Moskau, einem bedeutenden Think Tank für internationale Beziehungen. Mit dem Revival Russlands seien die Wunden des Zusammenbruchs der Sowjetunion geheilt worden. Inzwischen habe sich dieser Sieg aber «als Fake» herausgestellt, sagte Gabuev. «Deshalb richten nun viele ihre Wut gegen die Regierung.» Sie habe ein Betrugs-System geschaffen.
Es war Richard McLaren, ein Professor für Sportrecht aus Kanada, der 2016 in einem Untersuchungsbericht Belege lieferte für die systematische Verwicklung staatlicher Stellen Russlands in organisiertes Doping. Er wies auch eine Beteiligung des russischen Inlandgeheimdienstes FSB nach. Angefordert hatte den «McLaren-Bericht» die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada).
In den Fokus des öffentlichen Interesses rückt nun vor allem Samuel Schmids Kommission. Er ist aber nicht der einzige Schweizer, der in die IOC-Untersuchungen involviert ist. IOC-Mitglied Denis Oswald führt eine zweite IOC-Kommission an. Sie kümmert sich um die 28 russischen Sportler von Sotschi, die namentlich mit Doping in Verbindung gebracht werden konnten. Das IOC hat inzwischen sechs russische Sotschi-Langläufer lebenslänglich gesperrt, obwohl die oberste russische Ermittlungsbehörde mitteilte, die Vorwürfe wegen Staatsdopings seien widerlegt. In der Kommission sitzt mit IOC-Mitglied Patrick Baumann ein weiterer Schweizer.
Samuel Schmid steht – zusammen mit Denis Oswald und Patrick Baumann – im Scheinwerferlicht des Krimis um Russlands möglichen Doping-Betrug. Als eine Art Schiedsrichter im neuen Kalten Krieg zwischen Russland und den USA.