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Schweiz
CVP-Präsident Gerhard Pfister will mit seiner Wertedebatte das christliche Abendland verteidigen. Ironie der Geschichte: Pfister war auf dem Weg nach Rom, als seine Fraktion das «Anti-Islam-Papier» zerzauste.
Viel Parteiprominenz war angereist zur traditionellen Klausurtagung der CVP-Fraktion vom letzten Freitag und Samstag im Hotel Seerose in Meisterschwanden AG. Bundespräsidentin Doris Leuthard, Kanzler Walter Thurnherr, Gäste aus Bayern und Liechtenstein. Und natürlich Mitglieder der Bundeshausfraktion, angeführt von Ständerat Filippo Lombardi (TI).
Einer fehlte nach dem ersten Traktandum («Schweizer- und Völkerrecht im Einklang?»): Parteipräsident Gerhard Pfister. Als es nach der Kaffeepause um 17 Uhr mit einer Podiumsdiskussion ans umstrittene Thema «Religion, Werte und Gesellschaft» ging, war der Zuger Nationalrat verschwunden. Die Wertedebatte fand ohne deren Erfinder statt.
Das gab einige lange Gesichter in der «Seerose», aber der Grund für die Abwesenheit war sinnig und vielleicht sinnbildlich: Gerhard Pfister hatte einen Termin beim Heiligen Vater in Rom. Er war für den Samstag zu einer Papstmesse eingeladen. «Ich hatte eine Einladung an den Gottesdienst mit Papst Franziskus zum Abschluss des Jubiläumsjahrs 800 Jahre Dominikanerorden in Rom, am Samstag 22. Januar», sagt der CVP-Präsident auf Anfrage. «Deshalb reiste ich Freitagabend gegen 18 Uhr ab. Meine Abwesenheit war seit Oktober bekannt und bewilligt vom Fraktionschef.»
Die Abwesenheit Pfisters bekam dem «Wertepapier», das eine Kerngruppe des Präsidiums erarbeitet hatte, nicht sehr gut. Das Acht-Punkte-Programm «Rechtsstaat und Fundamentalismus» (siehe Box rechts) stiess auf grosse Ablehnung in der Fraktion. Tenor: zu einseitig auf Islam fokussiert.
Vize-Fraktionschefin und Nationalrätin Viola Amherd hält auf Anfrage schriftlich fest: «Das von einer Kerngruppe verfasste «Wertepapier» ist als erster Denkanstoss zu verstehen. Die Fraktion war sich einig, dass eine echte Wertediskussion viel breiter erfolgen muss und dass das Thema Islamismus und Fundamentalismus einen kleinen Teil der gesamten Diskussion darstellt.» Einig sei sich die Fraktion allerdings, so die Walliser Anwältin weiter, «dass eine Wertediskussion geführt werden soll.» Aber eben eine breitere als im Papier vorgesehen. «Entsprechend wurde über das Papier nicht abgestimmt und es wird sicher weiterbearbeitet, bevor es einem weiteren Kreis vorgelegt wird», erklärt Amherd.
Zu den Kritikerinnen gehört die Zürcher Nationalrätin Barbara Schmid-Federer. Sie sagt auf Anfrage: «Ich habe stets gesagt, dass ich auf Distanz gehe, wenn mit «Wertedebatte» ein Anti-Islam-Diskurs gemeint ist. Ebenfalls habe ich stets gesagt, dass ich nicht bereit bin, gegenüber Fundamentalismus einfache Antworten wie ein Burkaverbot zu liefern.» Leider sei beides mit dem aktuellen Papier der Fall. «Ich habe in der Fraktion klar gesagt, dass ich dieses Papier als untauglich erachte, um einen echten Wertediskurs zu führen», sagt Schmid-Federer. «Für mich wäre es wichtig, dass wir auch als Partei einen Diskurs ohne ideologische Übersteuerungen führen könnten.»
Die Bundeshausfraktion versetzte dem CVP-Chef einen ziemlichen Dämpfer. Aber dieser nimmt es sportlich. Pfister sagt: «Die Inputs aus der Fraktionsdiskussion werden aufgenommen, der Vorstand wird darüber ebenfalls diskutieren, und wir sollten das Papier bis Frühsommer im Parteipräsidium genehmigt haben.» Es gehe auch darum, «dass wir diese Diskussion gut und ausführlich führen und auch divergierende Standpunkte integrieren». Es sei wichtig, «dass wir uns als CVP zu solchen Fragen positionieren, nicht nur der Präsident».
Und es sei gar nicht so schlecht, dass die Debatte ohne ihn stattfand. Pfister hält fest: «Ich halte mich nicht für derart wichtig, dass ich bei jeder Fraktionsdiskussion dabei sein muss. Im Gegenteil: Die Fraktion muss auch diskutieren und entscheiden können, ohne dass sie dabei beeinflusst werden soll von dem, was der Präsident will.»
«Rechtsstaat und Fundamentalismus» lautet der Titel des Entwurfs. Er enthält 8 Punkte. Die jeweiligen Einleitungen lauten:
1 Die Werte der christlich sozialisierten Gesellschaft bilden die Grundlage des modernen Rechtsstaates und bestimmen unsere Kultur.
2 Die Religionsfreiheit wird durch unsere Verfassung und unsere Gesetze garantiert. Die Kultusfreiheit ist innerhalb unserer Gesetze gewährleistet.
3 Wir stehen zu unserer Kultur und unseren kulturellen Bräuchen. Insbesondere Umgangsformen, die Respekt gegenüber anderen Menschen angehen, sind zu beachten.
4 Bei der Integration legen wir den Fokus auf Frauen und Mädchen.
5 Den Behörden, insbesondere den Schulen, kommt in der Vermittlung unserer Umgangsformen, unserer Gebräuche, unserer Werte, die zu respektieren sind, eine wichtige Rolle zu.
6 Muslimische Frauen und Mädchen ab 16 Jahren sollen frei entscheiden können, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht.
7 In der Schweiz muss in der Öffentlichkeit grundsätzlich das Gesicht gezeigt werden. Wir wollen keine Kleidervorschriften, welche auf die Diskriminierung der Frau abzielen.
8 Wir bekämpfen fundamentalistisches Gedankengut und lassen kein Parallelrecht in der Schweiz zu.