Alles sei aufgegleist und auf Kurs, die Anzahl der Baustellen immer noch beträchtlich, sagt Regierungsrat Alex Hürzeler, seit genau einem Jahr aargauischer Bildungsdirektor.
Hans Fahrländer
Herr Bildungsdirektor, jüngst fand im Grossen Rat wieder einmal eine Bildungsdebatte statt. Der Tenor: Man wartet ungeduldig auf Antworten aus dem Bildungsdepartement (BKS) auf brennende Probleme der Schule Aargau.
Alex Hürzeler: Es ging hauptsächlich um Interpellationen. Da darf sich der zuständige Regierungsrat nur einmischen, wenn das Parlament ausdrücklich Diskussion beschliesst. So kam eigentlich keine richtige Debatte zustande. Ich hätte gern ein paar Dinge aus meiner Sicht ins richtige Licht gerückt.
Zum Beispiel?
Hürzeler: Der Eindruck, im BKS sei man nur zögerlich am Werk, ist falsch. Richtig ist allerdings, dass ich nach dem Kleeblatt-Nein der Schule Aargau in voller Absicht eine Phase der Konsolidierung verordnet habe, eine etwas ruhigere Phase für die Verarbeitung von bereits erlassenen Reformen. Stichworte sind etwa die Einführung der Schulleitungen, die neue Promotionsverordnung, der integrative Unterricht, die externe Schulevaluation oder das Englisch an der Primarschule.
Das heisst, in den zentralen strukturellen und inhaltlichen Fragen, die im Kleeblatt gestellt waren, legen Sie aus Respekt vor dem Volkswillen eine Pause ein.
Hürzeler: So lang ist diese Pause auch wieder nicht. Ich habe mich etwas gewundert, dass einige Parlamentsmitglieder offenbar schon wieder vergessen haben, was die Regierung im letzten Oktober der Öffentlichkeit präsentiert hat. Auf alle zentralen Themen des abgelehnten Kleeblattes haben wir eine – allerdings modifizierte – Antwort gegeben und einen Fahrplan bestimmt.
Eine neue Eingangsstufe, das heisst die Zusammenlegung von Kindergarten und Unterstufe, gibt es aber nicht.
Hürzeler: Nein, dieses Volksverdikt war das deutlichste, der Aargau will den Kindergarten behalten. Trotzdem besteht nationaler Anpassungsbedarf: Der zweijährige Kindergarten soll obligatorisch, der Stichtag für den Eintritt auf den 31. Juli verlegt werden. Ausnahmen von der Regel sollen aber möglich sein.
Die Tagesstrukturen wurden ins Departement Hochuli gezügelt – bleiben die Strukturreform und der Sozialindex.
Hürzeler: Die Vorlage «Stärkung der Volksschule Aargau» enthält neben dem Kindergarten-Obligatorium das Modell «6 Jahre Primarschule/3 Jahre Oberstufe»; wir übernehmen damit die Schweizer Mehrheitsstruktur. Sodann Zusatzlektionen für Schulen in überdurchschnittlich belasteten Gemeinden und den befristeten Einsatz von Assistenzpersonen an Sekundar- und Realschulen. Alles soll vor den Sommerferien in die Vernehmlassung gehen. Nach der Volksabstimmung im Frühjahr 2012 soll es auf das Schuljahr 2013/14 in Kraft gesetzt werden.
Nun sind aber neue Herausforderungen an die Schule Aargau herangetreten, die wohl schneller beantwortet werden müssen. Die grösste von allen ist der Lehrermangel. Aufs neue Schuljahr hin sieht es nicht gut aus, bereits sind Hunderte von freien Stellen ausgeschrieben und der Kündigungstermin von Ende April ist noch nicht einmal abgelaufen.
Hürzeler: Ich bin nicht ganz so pessimistisch. Wenn wir Ende März 2010 mit Ende März 2009 vergleichen, zeigt sich ein ähnliches Bild. Und im letzten Schuljahr ist es gelungen, jeder Klasse eine Lehrperson zu verschaffen.
Allerdings hatten viele von ihnen keine stufenadäquate Qualifikation, vor allem an der Oberstufe.
Hürzeler: Das ist richtig. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir unterschätzen das Problem nicht. Wir sind auf Hochtouren an der Ausarbeitung eines Paketes mit kurz- und mittelfristigen Massnahmen und werden es umsetzen, sollte sich Ende April, nach Ablauf des Kündigungstermins, die Situation drastisch verschlechtert haben.
Was sind die kurzfristigen Massnahmen?
Hürzeler: Es gilt beispielsweise das vorhandene Potenzial auszuschöpfen, indem Teilzeitpensen erhöht oder Pensionierungen hinausgeschoben werden. Wichtig ist auch die Vernetzung unter den Schulleitungen zum Austausch der genauen Bedürfnisse. Das BKS wird die Schulen dabei aktiv unterstützen, notfalls auch durch Werbemassnahmen im angrenzenden Ausland.
Und die mittelfristigen Massnahmen?
Hürzeler: Diese planen wir zusammen mit der Pädagogischen Hochschule und im Bildungsraum Nordwestschweiz. Es geht vor allem um Nachqualifizierungen, Umschulungen, um den erleichterten Einstieg für Quereinsteiger in den Lehrerberuf. Noch effektiver wäre es, wenn solche Massnahmen gesamtschweizerisch geplant werden könnten. Doch die Zusammenarbeit unter den pädagogischen Hochschulen ist noch stark – sagen wir: verbesserungsfähig.
Wie viele Lehrpersonen haben nicht die für ihre Stufe adäquate Qualifikation?
Hürzeler: Unter meinem Vorgänger wurde die Berufsausübungsbewilligung durch den Kanton abgeschafft. Deshalb kann ich diese Frage nicht präzis beantworten. Bei der letzten Erhebung 2008 verfügten 12 Prozent über keine stufen- oder typenspezifische Qualifikation.
Der Lehrerberuf kämpft gerade im Aargau mit Attraktivitätsproblemen. Eine kantonale Belastungsstudie hat ergeben, dass Lehrpersonen hier besonders viele Überstunden leisten. Was ziehen Sie für Konsequenzen aus dieser Studie?
Hürzeler: Wir versuchen den administrativen Aufwand zu verkleinern. Wir haben auch die Schulleitungen daran erinnert, dass sie dazu da sind, die Lehrpersonen zu entlasten. Entlastung bringt auch eine gemeinsame Aufgaben-Datenbank im Bildungsraum Nordwestschweiz, damit nicht mehr jede Lehrperson eigene Aufgaben kreieren muss. Und schliesslich: Wir forcieren die Revision des Lehrerlohndekrets, damit es möglichst schon 2011 in Kraft treten kann.
Etliche Gemeinden wünschten sich etwas klarere Signale des Kantons in Sachen integrativer Unterricht.
Hürzeler: Auch dieses Signal haben wir gegeben. Gemäss gültigem Schulgesetz existieren die integrativen Schulungsformen in Regelklassen und die separativen mit Kleinklasse gleichberechtigt nebeneinander. Die Gemeinden und Schulpflegen entscheiden.
Für den Kanton ist also die möglichst flächendeckende Einführung der Integration kein strategisches Ziel mehr.
Hürzeler: Richtig.
Es gibt Gemeinden, zum Beispiel Neuenhof mit hohem Ausländeranteil, welche einen ursprünglichen Entscheid für die Integration rückgängig gemacht haben.
Hürzeler: Es ist eben so, dass mit dem zur Verfügung stehenden Geld für zusätzliche heilpädagogische Unterstützung nicht überall eine optimale Integration möglich ist.
Und mehr Geld kann der Kanton nicht zur Verfügung stellen?
Hürzeler: Da separative und integrative Schulungsformen per Gesetz weiterhin als gleichwertig gelten, hat auch die Finanzierung gleichwertig zu erfolgen. Eine einseitige Ausweitung des Budgets wäre daher nicht rechtens.