Die Zahl der eingereichten Vorstösse ist in jüngster Zeit geradezu explodiert. Die Beantwortung von Motionen und Interpellationen kostet den Bund Millionen. Die Vorstoss-Könige wohnen im Tessin.
Der Vorstoss ist unmissverständlich: Die Schweiz solle die Kohäsionsbeiträge an diejenigen EU-Länder blockieren, die an ein Schengen-Land grenzen und die sich «nicht ernsthaft bemühen, die illegale Migration zu verhindern». So lautet der Titel der jüngsten Interpellation von Nationalrat Lorenzo Quadri. Er wird sie heute einreichen.
Dass es der Tessiner Lega-Politiker ist, der den Text formuliert hat, ist kein Zufall – Quadri ist der unbestrittene Vorstoss-König im Schweizer Parlament. Der aktuelle Vorstoss wird der 73. sein in dieser Legislatur. Auf den Plätzen zwei und drei folgen SVP-Nationalrat Oskar Freysinger und SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr (63 beziehungsweise 61 Vorstösse).
Sie alle befinden sich in guter Gesellschaft. Denn wie die Parlamentsdienste errechnet haben, legen die National- und Ständeräte in der laufenden Legislatur besonders viel Aktivismus an den Tag. Nicht weniger als 5724 Vorstösse – aufgeteilt in Motionen, Postulate, Interpellationen, Fragen, parlamentarische Initiativen und drei weitere, kleinere Kategorien – wurden insgesamt eingereicht. Und es werden noch Hunderte mehr, denn die Legislatur geht erst mit der gestern begonnenen Herbstsession zu Ende.
Damit ist jetzt schon klar: Es wird ein neuer Rekord aufgestellt. Im langjährigen Vergleich zeigt sich, dass die Zahl der Motionen (die den Bundesrat beauftragen, einen Erlassentwurf oder eine Massnahme zu treffen) seit 2011 rückläufig ist. Dafür ist die Anzahl der Interpellationen (bei der eine Auskunft verlangt wird) gleichzeitig explodiert.
Das bleibt nicht ohne Folgen für die Bundesverwaltung: 2007 errechnete der Bundesrat – notabene aufgrund einer entsprechenden Interpellation –, dass die Beantwortung eines Vorstosses im Schnitt mit 6120 Franken zu Buche schlage. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Schätzung. Neuere Zahlen existieren gemäss Auskunft der Parlamentsdienste nicht. Rechnet man den Betrag mit der Anzahl Vorstösse hoch, hat die Bundesverwaltung in der laufenden Legislatur also über 35 Millionen Franken für deren Beantwortung ausgegeben.
Pikant: Die gemessen an Vorstössen aktivsten Parlamentarier sind nicht etwa Vertreter von SP und Grünen, denen die bürgerlichen Parteien regelmässig finanzpolitischen Schlendrian vorwerfen. Spitzenreiter Quadri von der Lega beschwichtigt: «Ich habe vor allem Interpellationen eingereicht. Deren Beantwortung kostet viel weniger.» SVP-Nationalrat Lukas Reimann, auch er figuriert in den Top Ten, ergänzt: «Wenn nur ein kleiner Teil meiner Vorstösse angenommen worden wäre, hätte der Staat Millionen Franken gespart.»
Auffällig ist zudem, dass nicht weniger als drei der zehn Vorstoss-Könige aus dem Tessin stammen. Der zehntplatzierte CVP-Nationalrat Marco Romano erklärt die Häufung mit der geografischen und politischen Sonderstellung seines Kantons: «Wenn wir keine Vorstösse einreichen, kommen die Anliegen des Tessins noch weniger in Bern an.» Er sehe es etwa als seine Aufgabe an, für einen höheren Anteil italienischsprachiger Bundesangestellter zu sorgen. Das koste halt etwas, sagt Romano. «Wenn man nur das Geld in Betracht zieht, könnten sich unsere Landesteile gerade direkt dem jeweiligen Nachbarstaat anschliessen – das käme günstiger.»