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Schweiz
Nach einem abenteuerlichen Hin und Her hat das Parlament den inoffiziellen Gegenvorschlag zur Trinkwasserinitiative unter Dach und Fach gebracht. Der Bauernverband mit Präsident Markus Ritter setzt darauf, dass dieser ausreicht, um die Abstimmung zu gewinnen.
Es geht um Gülle und Mist, um Pestizide und ums Trinkwasser - und die grosse Frage: Wie sieht die Landwirtschaft von morgen aus? Die Agrarreform hat das Parlament diese Woche zwar auf Eis gelegt. Doch im Juni kommen zwei Initiativen zur Abstimmung, welche die Agrarpolitik regelrecht umpflügen wollen.
Nun hat das Parlament quasi auf den letzten Drücker einen inoffiziellen Gegenvorschlag dazu verabschiedet. Dieser nimmt gewisse Anliegen der Initiativen auf und soll ihnen so den Wind aus den Segeln nehmen. Denn zumindest die Trinkwasserinitiative ist an der Urne nicht chancenlos.
Grüne, SP und GLP haben klar die Ja-Parole beschlossen. Bemerkenswert ist aber vor allem der Positionsbezug der FDP: Sie sagt zwar Nein zur Trinkwasserinitiative, der Entscheid der Delegierten fiel mit 202 zu 165 Stimmen jedoch alles andere als haushoch aus.
Die Sympathien für das Anliegen gehen also über das linksgrüne Lager hinaus.
Die Initiative fordert grössere Änderungen: Direktzahlungen sollen nur noch jene Bauern erhalten, die keine Pestizide einsetzen und nur so viele Tiere halten, wie «mit auf dem Betrieb produzierten Futter ernährt werden kann». Eine zweite Agrar-Initiative, die ebenfalls am 13. Juni zur Abstimmung kommt, will synthetische Pestizide ganz verbieten.
Beides geht der Mehrheit des Parlaments zu weit. Um den inoffiziellen Gegenvorschlag entspann sich in den letzten Monaten ein zähes Ringen - das linksgrüne Lager drängte auf Verschärfungen, die Bürgerlichen traten angeführt vom Bauernverband mehrheitlich auf die Bremse. Am Donnerstag stimmten National- und Ständerat schliesslich dem Antrag der Einigungskonferenz zu.
Herausgekommen ist eine Gesetzesrevision, die einerseits bei den Pestiziden ansetzt: Bis 2027 müssen die Risiken des Pestizideinsatzes um 50 Prozent sinken, dies im Vergleich zu den Jahren 2012-2015. Weiter werden unter anderem eine Offenlegungspflicht für Pflanzenschutzmittel eingeführt sowie bestimmte Grenzwerte verschärft.
Auch das Problem der Überdüngung hat das Parlament angepackt. Die Stickstoff- und Phosphorverluste der Landwirtschaft sollen «angemessen reduziert» werden, heisst es neu im Gesetz. Was das genau bedeutet, ist offen: Auf Zielvorgaben hat das Parlament zum Ärger von Umweltschützern verzichtet.
Zudem wird eine Offenlegungspflicht eingeführt für Kraftfutter- und Düngerlieferungen, nicht jedoch allgemein für Futtermittel - ein umstrittener Entscheid. Der Bauernverband argumentierte mit Erfolg, eine Offenlegungspflicht für Futtermittel führe zu übermässiger Bürokratie. Kritiker monieren hingegen, eine sinnvolle Nährstoffbilanz sei so gar nicht möglich.
Was also taugt dieser inoffizielle Gegenvorschlag? Nur halb zufrieden ist die linke Seite. SP-Nationalrätin Martina Munz sagt: «Bei den Pestiziden bringt diese Gesetzesrevision einen kleinen Fortschritt. Aber bei den Nährstoffverlusten ist sie zu wenig griffig.»
Die bürgerliche Parlamentsmehrheit, angeführt vom Bauernverband, habe die Vorlage in diesem Bereich stark verwässert. «Als informeller Gegenvorschlag zur Trinkwasserinitiative taugt das nicht», findet Munz. Und fügt an:
«Im Parlament kommen wir in der Landwirtschaftspolitik nicht vorwärts, daher bleibt nur Weg über Initiativen.»
Ganz anders sieht es Markus Ritter, Mitte-Nationalrat und Präsident des Schweizer Bauernverbandes. Aus seiner Sicht geht der inoffizielle Gegenvorschlag heute «sehr weit», viel weiter als zunächst beabsichtigt war. Tatsächlich hatte das Parlament zunächst nur die Pestizid-Problematik anpacken wollen. Erst später kamen weitere Teile dazu, unter anderem die Bestimmungen zu den Nährstoffverlusten sowie die Verschärfung der Grenzwerte. Ritter sagt dazu:
«Diese dürfte noch für Kopfzerbrechen sorgen – nicht nur bei der Landwirtschaft.»
Die Kritik von linker Seite, wonach die Bestimmungen bei den Nährstoffverlusten zu wenig griffig seien, weist er zurück. Es sei richtig, im Gesetz die Leitplanken zu setzen; die genauen Zahlen müsse der Bundesrat danach in einer Verordnung festlegen. Dann könne man wenn nötig auch zeitnah nachjustieren, argumentiert er.
Dass die Überdüngungsproblematik überhaupt Teil des Päckli wurde, hat auch mit dem Bauernverband zu tun: Er drängte darauf, dass die Reform «Agrarpolitik 22+» auf Eis gelegt wird. Mit dieser wollte der Bundesrat die Landwirtschaft ökologischer machen. Vorgesehen war auch ein Absenkpfad für Stickstoff und Phosphor.
Doch daraus wird vorläufig nichts: Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat die Vorlage diese Woche sistiert. Einmal mehr hat der Bauernverband gezeigt, dass er im Parlament Mehrheiten finden kann - auch dank massivem Lobbying und Hintertreppendeals, wie verärgerte Linke kritisieren.
Die Frage ist indes, ob dem Bauernverband auch an der Urne der Sieg gelingt. Hat er genug in der Hand, um die Trinkwasserinitiative mit ihrem sympathischen Namen zu bekämpfen, zumal ökologische Anliegen derzeit auf viel Zustimmung stossen? Oder fliegt ihm der Entscheid zur Agrarreform im Abstimmungskampf um die Ohren?
Andreas Bosshard von der Vision Landwirtschaft sagt: «Die Sistierung der Agrarpolitik 22+ zeigt, dass Bauernverband und Parlament sich weigern, die Umwelt- und Klimaprobleme der Landwirtschaft endlich anzupacken. Das dürfte den Initiativen Schub geben.»
Die Gegner dürften zumindest versuchen, die Sistierung der Agrarreform auszuschlachten. Es ist daher eine riskante Wette, die der Bauernverband eingegangen ist. Geht die Strategie auf, gewinnt er doppelt. Geht sie aber schief, so könnte die Sistierung der Agrarreform zum Pyrrhussieg verkommen.