Eine Umfrage zeigt: In den Städten gehen bereits mehr Stimmcouverts ein als beim letzten vergleichbaren Abstimmungssonntag. An der Spitze steht St. Gallen.
Es zeichnet sich im laufenden Jahr eine der höchsten durchschnittlichen Beteiligungen bei Abstimmungen in der Schweiz seit den 1970er-Jahren ab. Das prognostiziert Lukas Golder, Politologe und Co-Leiter der Forschungsstelle gfs Bern: «Wir haben in diesem Jahr einen aussergewöhnlichen Mix an Vorlagen, der die Leute bewegt und an die Urne treibt.»
Nicht nur müssen sich die Stimmbürger im 2021 bei über sechs Initiativen und sieben Referenden mit überdurchschnittlich vielen Vorlagen befassen. Auch thematisch sind die Inhalte heterogener und vermögen stärker zu polarisieren. Das erste Halbjahr war denn auch von politischen Mobilisierungen geprägt.
Bereits vor der ersten Abstimmung über das Covid-Gesetz im Juni gingen Hunderte auf die Strasse, um gegen die Pandemie-Massnahmen zu demonstrieren. Auch die Kampagne der Bauern zu den beiden Pestizidinitiativen befeuerte die Debatte und das CO2-Gesetz bewegte die Klimajugend und Klimaaktivisten. Der Trend der überaus hohen Stimmbeteiligung sieht Golder langfristig denn auch in der «Generation Z» begründet.
«Die jungen Frauen und Männer wollen und nehmen politisch mehr Einfluss. Das zeigt sich an der Urne.»
Drei Wochen vor dem Abstimmungssonntag stellt sich nun die Frage, ob die Mobilisierung wieder gelingen wird. «Aus St. Gallen und der Innerschweiz haben wir die Hinweise, dass sie bedingt durch das Covid-Gesetz wieder hoch sein könnte», sagt Golder. Keine Regionen der Schweiz zählen so wenig Geimpfte. In St. Gallen geht der Politologe von einer Stimmbeteiligung von 50 Prozent aus, der schweizerische Durchschnitt liegt seit 2015 bei 45 Prozent.
Eine Umfrage von CH Media bei grossen Städten und Gemeinden der Deutschschweiz zeigt, dass 20,6 Prozent die Stimmberechtigten in der Stadt St. Gallen kaum eine Woche nach Erhalt des Stimmcouverts vorzeitig brieflich abgestimmt haben – so viel wie in keiner der angefragten Gemeinden.
Auch in Winterthur, der zweitgrössten Stadt im Kanton Zürich, haben bis Mittwoch bis zu 5 Prozent mehr brieflich abgestimmt als zum gleichen Zeitpunkt bei vergleichbaren Vorlagen im vergangenen Juni. Golder sagt:
«Es gehen Stimmbürger an die Urne, die nie abstimmen, die sich aber über die Pandemie politisiert haben.»
Noch offen ist, ob diese Stimmberechtigten auch nach Ende der Pandemie politisch aktiv bleiben.
In den Städten Zürich und Bern ist die vorzeitige Abstimmung per Brief sogar bis um fast die Hälfte grösser als noch im Juni. In Basel-Stadt konnten Befürworter und Gegner am stärksten mobilisieren (plus 7,6 Prozentpunkte). Nach St. Gallen hat Aarau mit 14 Prozent zwar die höchste Quote brieflicher Stimmabgabe nach kaum einer Woche, liegt aber 4 Prozentpunkte tiefer als im Juni.
Weitere Städte aus der Ostschweiz und Gemeinden aus der Innerschweiz konnten keine Angaben machen. Die Resultate bestätigen den Trend der höheren Mobilisierung. «Bei Abstimmungen während der Pandemie ist die Stimmbeteiligung zwischen 5 und 10 Prozent höher ausgefallen als sonst», sagt Golder.
Er geht davon aus, dass die Meinungen bereits gemacht sind. Er erwartet für die Tage vor dem Abstimmungssonntag zwar eine starke Schlussmobilisierung, aber die briefliche Stimmabgabe hat den Gang an die Urne weitgehend ersetzt. In St. Gallen oder Basel-Stadt sind es weniger als zehn Prozent, die am Abstimmungssonntag an die Urne gehen.