Knall
Abgang mit Misstönen: CVP-Nationalrätin Schmid-Federer tritt zurück – und kritisiert die eigene Partei

Die Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer hat ihren Rücktritt im Verlauf der Sommersession angekündigt – und dabei auch die Reduit-Strategie von Präsident Gerhard Pfister deutlich kritisiert.

Jonas Schmid
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Barbara Schmid-Federer und Gerhard Pfister.

Barbara Schmid-Federer und Gerhard Pfister.

Keystone/Alex Spichale

Die CVP verliert Wahl um Wahl. Doch mit öffentlicher Kritik an Präsident Gerhard Pfister hielten sich die Parteiexponenten stark zurück. Bis jetzt. Die Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer erklärte in einem Interview ihren Rücktritt und nutzte die Gelegenheit für eine eigentliche Standpauke. «Ich verheimliche nicht, dass mir der heutige Kurs der CVP das politische Leben erschwert», sagte sie gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Die Parteispitze wolle primär in den Stammlanden Wähler zurückgewinnen und habe dafür einen bürgerlich-konservativen Weg eingeschlagen, «mit dem ich mich kaum identifizieren kann».

Die Zürcherin, die elf Jahre lang in der grossen Kammer politisierte, ist keine Unbekannte. Sie stammt aus einer CVP-Dynastie. Einer ihrer Ururgrossväter ist Josef Zemp, der 1891 als erster Vertreter der Katholisch-Konservativen in den Bundesrat gewählt wurde. Ihr Bruder Urban Federer ist Abt des Klosters Einsiedeln. Schmid-Federer gehört zum linken Flügel der CVP-Fraktion. Die Nationalrätin ist überzeugt, dass für die Partei in den urbanen Regionen viel Wählerpotenzial brachliegt. Dieses lasse sich nur mit einer sozialliberalen Ausrichtung erschliessen.

Pfister kontert

Als Beispiel nennt die 52-Jährige den Kanton Genf, wo die CVP mit einem progressiven Kurs bei den Wahlen im April einen zusätzlichen Sitz im Parlament erobert hat. Auch im Kanton Neuenburg gelang der Partei ein Sitzgewinn, während sich in allen anderen Wahlen die Abwärtsspirale auch unter Parteichef Gerhard Pfister fortgesetzt hat. Ist seine Reduit-Strategie die richtige?

Pfister kann die Kritik am Kurs nur bedingt nachvollziehen. «Hier schliesst man fälschlicherweise von mir auf die Partei: Nur weil ich selbst konservativ bin, heisst das nicht, dass die ganze CVP nun so tickt», sagt Pfister gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Er verweist darauf, dass sich die CVP bei grossen politischen Geschäften wie der Rentenreform oder der Energiewende als kompromissbereite Mitte-Kraft positioniert habe. Die nationale Parteileitung gebe nur die grossen Linien vor, doch letztlich würden die Kantonalsektionen ihre Ausrichtung selber bestimmen.

Den linksliberalen Flügel stärken soll die vor wenigen Wochen gegründete Christlich-Soziale Vereinigung. Ihr Präsident Stefan Müller-Altermatt sagt, die CVP habe kein Kursproblem, sondern ein Wahrnehmungsproblem: «Wir müssen die Themen, welche die Menschen im Alltag betreffen, besser betonen und bürgerlich-soziale Lösungen anbieten.» Damit liessen sich Wahlen gewinnen. Mit dem Leitbild der Partei identifiziere er sich «voll und ganz». Obwohl das linksliberale Spektrum durch die bevorstehenden Rücktritte der Nationalräte Viola Amherd, Kathy Ricklin und Dominique de Buman geschwächt wird, stösst die Vereinigung laut Müller-Altermatt auf viel Zuspruch. «Es kommen viele Beitrittsgesuche und es werden auch neue Kantonalsektionen gegründet.»

Die CVP habe ein ungelöstes Problem, sagt Politologe Georg Lutz. «Sie verliert seit 20 Jahren systematisch Wahlen, da ihr das Elektorat aus dem katholisch-konservativen Milieu wegbricht.» Teilweise gingen diese Stimmen an die SVP. Die konservative Basis sei für die Partei aber auch heute noch wichtig. «Würde die CVP voll auf einen sozialliberalen Kurs setzen, käme dies einer Hochrisikostrategie gleich.» Der konservative Kurs habe dann Potenzial, wenn die SVP schwächele. Mit jeder Strategie riskiere man, «nicht einfach neue Wähler zu gewinnen, sondern auch alte zu vergraulen».