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Schweiz
Der Bundesrat schnürt das grösste Wirtschaftshilfspaket der Schweizer Geschichte. Firmen in der Klemme sollen rasch mit Geld versorgt werden, die Kurzarbeit wird stark ausgebaut – auch für Selbstständige.
Die Ausmasse dieses Hilfspaketes sind gigantisch: Mit vorerst 42 Milliarden Franken will der Bundesrat die Schweizer Wirtschaft unterstützen. Profitieren sollen alle von der Krise Betroffenen: Firmen, Selbstständige, Kulturschaffende, Fest- und Temporärangestellte. Finanzminister Ueli Maurer liess gestern keinen Zweifel, dass der Bund die Wirtschaft um jeden Preis stützen will: «Wenn es mehr Geld braucht, stellen wir diese Beträge zur Verfügung», sagte er.
«Wir kennen die Probleme, die wir jetzt zu lösen haben. Und wenn morgen neue Probleme auftauchen, dann lösen wir die wieder. Ist doch klar.» Wirtschaftsminister Guy Parmelin ergänzte: Man wolle Härtefälle auf allen Ebenen verhindern. «Der Bundesrat hat von zahlreichen berührenden Schicksalen gehört. Wir arbeiten Tag und Nacht, um zu helfen.» Die Wirtschaft befinde sich im Ausnahmezustand. Die Hilfe soll unbürokratisch erfolgen.
Der Bund könne sich ein Hilfspaket in dieser Grössenordnung aufgrund eines soliden Haushaltes und eines «Finanzplatzes in robustem Zustand» leisten, sagte Maurer. Verbände und Parteien zeigten sich in ersten Stellungnahmen zufrieden. Viele ihrer Forderungen wurden umgesetzt. Dies sind die Massnahmen des Bundesrats im Einzelnen:
20 Milliarden Franken stellt der Bund für Überbrückungskredite zur Verfügung. Erhalten sollen sie diejenigen Firmen, die aufgrund der Corona-Krise ihre laufenden Kosten nur mit Mühe oder gar nicht mehr bezahlen können. «Wenn die Liquidität fehlt, geraten wir in eine Abwärtsspirale», sagte Maurer. Die Hilfe soll unbürokratisch erfolgen.
Jede Firma kann zu ihrer Hausbank gehen und den Überbrückungskredit beantragen. Der Bund bürgt dafür. Der Kredit beträgt maximal zehn Prozent des Umsatzes oder maximal 20 Mio. Franken. Es gibt drei Stufen: Bis zu 500'000 Franken können die Banken die Beträge sofort und praktisch ohne weitere Prüfung ausbezahlen. Der Bund garantiert zu 100 Prozent. Damit dürften 90 Prozent der betroffenen Firmen abgedeckt sein.
«Innerhalb einer halben Stunde kommt man zum Geld und der Bund steht dafür gerade», sagte Maurer. Für den Bund bestehe natürlich ein gewisses Ausfallrisiko. Zwischen 500'000 Franken und 20 Mio. Franken haftet der Bund für 85 Prozent des Kredites, die Banken zu 15 Prozent. Damit will der Bund sicherstellen, dass die Banken die höheren Kredite sorgfältig prüfen.
Bei Beiträgen ab 20 Mio. Franken klärt der Bund ab. Zu welchem Satz die Kredite verzinst werden müssen, ist noch nicht bekannt. Dies wird kommende Woche festgelegt. Der Zinssatz werde «sehr bescheiden» sein, sagte Maurer. Und: «Die Banken sind mit diesem Vorgehen einverstanden.»
Daniel Salzmann, CEO der Luzerner Kantonalbank, begrüsst stellvertretend die Massnahme, bittet aber Unternehmen, die Bank «erst dann für Gelder aus der Bundeshilfe zu kontaktieren, wenn die Notverordnung publiziert und der Prozess klar geregelt ist». Dies dürfte am kommenden Donnerstag der Fall sein. «Ob diese 20 Milliarden reichen, werden wir in einigen Wochen sehen», sagte Ueli Maurer. Zwar sei man sich des Ausfallrisikos bewusst. Aber: Die Wirtschaft brauche jetzt das Geld. «Wir wollen Vertrauen schaffen.»
Für Lehrlinge sowie temporär und befristet Angestellte kann neu auch Kurzarbeit beantragt werden. «Es kann nicht sein, dass die einzelnen Betriebe jetzt ihre Lehrlinge entlassen müssen», begründete Wirtschaftsminister Guy Parmelin die Massnahme.
Heiss ersehnt wurde die folgende Massnahme in der Gastrobranche und in kleinen Betrieben: Wer ein Geschäft besitzt und dort auch angestellt ist, erhält ebenfalls eine Kurzarbeitsentschädigung. Auch für mitarbeitende Ehegatten kann Kurzarbeit beantragt werden. Diese Personengruppe soll eine Pauschale von 3320 Franken als Kurzarbeitsentschädigung für eine Vollzeitstelle geltend machen können.
Die Wartefrist für Kurzarbeitsentschädigungen wird aufgehoben. Damit entfällt die Beteiligung der Arbeitgeber an den Arbeitsausfällen. Neu müssen Arbeitnehmer nicht mehr zuerst ihre Überstunden abbauen, bevor sie profitieren können. Gesuche und Zahlungen sollen einfacher abgewickelt werden.
Wer von der Krise betroffen ist, muss nicht mehr in AHV, IV, EO und ALV einzahlen: Zum Auffangnetz gehört auch ein vorübergehender, zinsloser Zahlungsaufschub für Beiträge an die Sozialversicherung. Muss eine Firma ihre Löhne deutlich senken, kann sie auch die Höhe ihrer regelmässigen Akontobeiträge an die Sozialwerke anpassen lassen. Dasselbe gilt für Selbstständige, deren Umsätze eingebrochen sind.
Zuständig für die Aufschübe sind die AHV-Ausgleichskassen der Kantone. Aufschub bei den Steuern Für Steuerzahlungen plant der Bundesrat einen Liquiditätspuffer: Unternehmen können ihre Zahlungsfristen erstrecken, ohne Verzugszins zahlen zu müssen. Die Regelung gilt bis Ende Jahr – für die Direkte Bundessteuer ebenso wie für die Mehrwertsteuer, Zölle und Lenkungsabgaben.
Auch für Selbstständigerwerbende steht Unterstützung bereit: Müssen sie ihr Geschäft wegen der Massnahmen zur Bekämpfung des Virus schliessen, werden sie mit Taggeldern entschädigt. Ebenso, wenn sie wegen Schulschliessungen Kinder betreuen oder sich in ärztlich verordnete Quarantäne begeben müssen.
Sie erhalten 80 Prozent des Lohns, höchstens 196 Franken pro Tag. Für Personen in Quarantäne ist die Entschädigung auf 10 Taggelder beschränkt, für Selbstständige mit Betreuungsaufgaben auf 30. Die gleichen Regeln gelten für freischaffende Künstler, die kein Geld mehr verdienen können, weil ihre Engagements wie Konzerte oder Ausstellungen wegen der Corona-Massnahmen annulliert werden mussten.
Wann können Angestellte auf eine Entschädigung hoffen? Zum einen, wenn sie sich in eine vom Arzt verordnete Quarantäne begeben müssen. Und zum anderen, wenn sie ihre Arbeit unterbrechen müssen, um ihre Kinder zu betreuen. Doch da ist einiges noch unklar (siehe Box nebenan).
100 Millionen Franken sollen Sportorganisationen erhalten: Clubs, Verbände und Organisatoren, die vor existenziellen Problemen stehen, weil ihre Veranstaltungen abgesagt werden mussten. Sowohl der Breitensport als auch der Spitzensport sollen unterstützt werden (siehe auch Sportteil). Die Kulturbranche wird mit 280 Mio. Franken Soforthilfe und Ausfallentschädigungen unterstützt.
Damit soll eine, so der Bundesrat, «dauerhafte Schädigung der Schweizer Kulturlandschaft» verhindert werden. Die 280 Mio. Franken gelten als «erste Tranche für zwei Monate». Danach wird neu entschieden. Nicht gewinnorientierte Kulturunternehmen sollen rückzahlbare zinslose Darlehen erhalten. Kulturschaffende können nicht rückzahlbare Nothilfen zur Deckung der unmittelbaren Lebenshaltungskosten beanspruchen, wenn sie nicht über die Entschädigung für den Erwerbsausfall unterstützt werden.
Auch für Anlässe, die abgesagt werden mussten, können Entschädigungen angefragt werden. Bis zu 80 Prozent des finanziellen Schadens sollen gedeckt werden können. Der Bund trägt die Hälfte der Kosten, welche die Kantone sprechen.
Ihre eigenen Rechnungen will die Eidgenossenschaft so schnell wie möglich auszahlen, ohne die Zahlungsfristen auszunützen. «Damit wird die Liquidität unserer Lieferanten gestärkt», hofft die Landesregierung. Der Bund gibt jährlich fast sechs Milliarden Franken für Güter und Dienstleistungen aus.
In zwei Tagen hat der Bund eine neue Sozialversicherung aus dem Boden gestampft: Die Corona-Erwerbsersatzordnung. Sie betrifft nicht nur die Lohnfortzahlung von Selbstständigen. Sondern auch von Eltern, die aufgrund von geschlossenen Schulen und Kinderbetreuungsstätten vor Problemen stehen. Das müssen Sie dazu wissen:
Anspruch haben Eltern selbstständig oder angestellt - mit Kindern unter 12 Jahren, die ihre Arbeit unterbrechen müssen, weil die Fremdbetreuung wegen des Corona-Virus nicht mehr gewährleistet ist. Entweder weil Schulen oder Kitas geschlossen sind oder die vorgesehene Betreuung wegfällt, weil die dafür vorgesehene Person zur Risikogruppe gehört.
Die Entschädigung beträgt 80 Prozent des Bruttoerwerbseinkommen, aber maximal 196 Franken pro Tag. Bei Selbständigerwerbenden wird das Taggeld wie folgt berechnet: Jahreseinkommen ×0,8, geteilt durch 360. Für Angestellte besteht der Anspruch, bis eine Betreuungslösung gefunden worden ist. Für Selbstständigerwerbende endet er nach dem Bezug von 30 Taggeldern. Begründet wird dies damit, dass bei Angestellten die Kontrolle einfacher ist.
Die Ansprüche können ab dem 17. März geltend gemacht werden. Allerdings braucht die Umsetzung noch Zeit. Bis das System funktioniert, wird es Anfang oder Mitte April werden. Bis dahin werden keine Entschädigungen ausbezahlt. Wo liegt der Haken? Die Entschädigung gibt es nicht, wenn die Arbeit von zu Hause aus möglich ist. Kinderbetreuung und Home-Office ist aber nicht einfach zu vereinbaren.
Adrian Wüthrich, Präsident von Travail Suisse, sagt: «Der Bundesrat setzt auf die Kulanz der Arbeitgeber.» Diese Frage müsse man mit dem Bund noch diskutieren. Trotzdem gibt es Lob: «Wichtig ist, dass das Geld schnell fliesst für Eltern, die ihre Kinder daheim betreuen müssen und deshalb Liquiditätsprobleme haben.» (dk)