430'000 Frauen – ungefähr so viele Menschen wie in der Stadt Zürich leben – wurden in der Schweiz Opfer von sexueller Gewalt. Das zeigt eine neue Studie. Diese 12 weiteren Fakten musst du darüber wissen.
Die Studie zu sexueller Belästigung und sexueller Gewalt an Frauen in der Schweiz wurde im Auftrag von Amnesty International vom Institut bsf.bern durchgeführt. Insgesamt sind die Antworten von 4'495 Frauen ab 16 Jahren in der Schweiz in die Befragung eingeflossen. Die Befragung wurde zwischen dem 28. März und dem 15. April 2019 durchgeführt.
Jüngere Frauen machen sich deutlich mehr Sorgen, sexuell belästigt zu werden, als ältere Frauen. Bei den 16 bis 39-Jährigen sind es 55 Prozent, bei den 40 bis 64-Jährigen 36 Prozent, bei den über 65-Jährigen 23 Prozent.
In der Schweiz kennen fast die Hälfte aller Frauen ab 16 Jahren andere Frauen, die ungewollt sexuelle Handlungen erleben mussten.
Viele Formen der sexuellen Belästigung sind weit verbreitet. Am häufigsten kommen unerwünschte Berührungen, Umarmungen und Küsse vor. 59 Prozent aller Frauen haben solche Erfahrungen gemacht. Ebenfalls häufig kommen sexuell suggestive Kommentare und Witze (56% aller Frauen) und unangemessenes Anstarren (54% aller Frauen) vor.
Quelle: gfs.bern, Befragung sexuelle Gewalt, April 2019
Jüngere Frauen erfahren besonders viele Belästigungen in den sozialen Medien und im Netz. Viele berichten von aufdringlichen Kommentaren über die körperliche Erscheinung oder sexuell eindeutigen Nachrichten. 57 Prozent der Frauen bis 29 Jahren berichteten von solchen Erfahrungen.
Mindestens jede fünfte Frau in der Schweiz musste bereits ungewollte sexuelle Handlungen erleben. Von allen Befragten haben zwölf Prozent Geschlechtsverkehr gegen den eigenen Willen erlebt. Auf die gesamte weibliche Bevölkerung der Schweiz hochgerechnet entspricht das rund 430'000 Frauen ab 16 Jahren – das entspricht der Einwohnerzahl der Stadt Zürich.
Besonders Betroffen ist die mittlere Altersgruppe der Frauen zwischen 40 und 64 Jahren. In den Agglomerationen kommt das Problem häufiger vor als auf dem Land. Und sexuelle Gewalt ist eher ein Problem in den unteren sozialen Schichten, wie die folgende Grafik zeigt.
Frauen, die sexuelle Gewalt erlebten, melden die Vorfälle nur sehr selten der Polizei. Lediglich acht Prozent erstatten Strafanzeige. Und nur die Hälfte spricht darüber mit Freunden und Familie – die andere Hälfte behält den Vorfall sogar für sich.
Auf die Frage, warum nur in der Hälfte der Fälle darüber gesprochen wurde, antworten viele damit, dass sie das Gefühl hätten, chancenlos zu sein (62%). Ebenfalls sehr hoch ist das Gefühl der Scham (64%). 58 Prozent der Befragten gaben zudem an, dass sie Angst haben, nicht ernst genommen zu werden.
Im Gegensatz zur sexuellen Belästigung, die mehrheitlich im öffentlichen Raum geschieht, passiert sexuelle Gewalt am häufigsten bei jemandem Zuhause.
Rund 70 Prozent der Frauen gaben an, dass sie selbst für die sexuelle Belästigung verantwortlich gemacht werden. Nur 16 Prozent finden, dass Frauen nicht zur Verantwortung gezogen werden.
74 Prozent aller Frauen finden, dass die Schweizer Gesellschaft und Politik sexuelle Belästigung und Gewalt stärker bekämpfen müssen. Nur 16 Prozent sind der Meinung, dass bereits genug dagegen getan wird.
Nur wer «erzwungenen, vaginalen Geschlechtsverkehr» erleben musste, wurde per Schweizerischem Strafgesetzbuch vergewaltigt. Eine klare Mehrheit der befragten Frauen findet diese Definition zu eng gefasst. Rund 74 Prozent sind der Meinung, dass bereits «sexuelle Penetration ohne gegenseitiges Einverständnis» als Vergewaltigung einzustufen ist.
Die Forderung, dass Vergewaltigung neu definiert wird, ist dabei unabhängig von Alter, finanziellem Hintergrund oder politischer Gesinnung. Die grosse Mehrheit ist «sehr einverstanden» damit, dass sexuelle Penetration ohne Einverständnis bereits eine Vergewaltigung ist.
Die genaue Frage lautete:
«Es gibt die Forderung, dass sexuelle Penetration ohne gegenseitiges Einverständnis als Vergewaltigung einzuordnen ist. Sind Sie mit dieser Forderung sehr einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder überhaupt nicht einverstanden?»