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Schweiz
Heinz Siegenthaler will die Gründung des Bundesstaats feiern – eine Forderung, die bisher bloss aus linken Kreisen kommt.
Am Anfang war eine Aufforderung: «Bitte nicht schon wieder eine Lobhudelei.» Der Gemeinderat von Mörigen im Kanton Bern dürfte sich im Klaren gewesen sein, dass es nicht gerade die feine Art ist, einem Festredner vorzuschreiben, was er zu sagen hat. Zumal Ansprachen anlässlich der Bundesfeier ohnehin nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen von Politikern gehören. Doch Heinz Siegenthaler sah die Aufforderung als Ansporn. «Ich begann zu recherchieren und merkte, was da eigentlich meist für ein Chabis erzählt wird.»
Siegenthaler hielt in seinem Leben schon einige 1.-August-Reden. Der Meisterlandwirt aus Rüti bei Büren im Berner Seeland sitzt für die BDP im Nationalrat, zuvor politisierte er in der SVP und war deren Fraktionschef im Kantonsparlament. Er ist ein alter Hase. Und trotzdem habe er Jahrzehnte und eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Schweizer Geschichte benötigt, bis ihm klar wurde: «Der 1. August hat wenig mit dem zu tun, auf was wir so richtig stolz sein können. Auf unsere demokratische Tradition. Auf den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung und den Föderalismus.»
Siegenthaler kam zum Schluss, dass es da einen Tag gäbe, der sich besser als Feiertag eigenen würde – der 12. September. 1848 trat an jenem Tag die erste, von den Kantonen beschlossene Bundesverfassung in Kraft. «Wenn es ein einmaliges Ereignis für unseren Staat gibt», sagt Siegenthaler, «dann ist das natürlich dieses». Deshalb holt er die Gründung des modernen Bundesstaats nun zurück auf die Agenda. Mittels eines parlamentarischen Vorstosses will er den Bundesrat dazu bringen, den 12. September zu einem nationalen Feiertag zu erklären.
Der 12. September als Feiertag? Diese Idee stiess unter bürgerlichen Politikern bisher stets auf Ablehnung, was Siegenthalers Postulat umso bemerkenswerter macht. Sämtliche Versuche, den Tag zu einem Bundesfeiertag zu krönen, scheiterten kläglich. Nur Linke boten dafür Hand.
Die Frage des Nationalfeiertags schwelt seit Jahrzehnten vor sich hin. Die Diskussion ist geprägt von Belehrungen und Spitzfindigkeiten – angefangen damit, dass die Bezeichnung «Nationalfeiertag» in der Schweiz gar nicht gebräuchlich ist. Es gibt einen Bundesfeiertag am 1. August, und dieser existiert in heutiger Form erst seit 1891. Damals wollte der Bundesrat mit Feierlichkeiten auf den in Europa aufflammenden Nationalismus reagieren. Fortan verbreitete sich der Gründungsmythos, wonach Anfang August 1291 auf der Rütliwiese am Ufer des Urnersees die Eidgenossenschaft entstanden sei. Die drei tapferen Eidgenossen schworen sich die ewige Treue.
Historisch belegbar ist weder die Staatsgründung noch die Datierung auf den 1. August. Und selbst wenn der Bundesbrief von 1291 als ältestes Verfassungsdokument des Landes gilt, war das damalige Beistandsbündnis von Uri, Schwyz und Unterwalden nur eines von vielen. Selbst der Bundesrat hält in einer offiziellen Dokumentation fest, dass «die zeitgenössische Bedeutung dieses Dokuments in neuerer Zeit erheblich überschätzt worden ist».
In den vergangenen Jahren waren es allen voran Sozialdemokraten wie der Aargauer Nationalrat Cédric Wermuth, die eine Verklärung historischer Tatsachen monierten und sich eine neue Gedenkkultur wünschten. Der 12. September stehe für eine selbst gewählte Demokratie, schrieb Wermuth 2010 in einem viel beachteten Gastbeitrag in dieser Zeitung. Der damalige Juso-Präsident forderte: «Der 1. August gehört abgeschafft.»
Gleich ganz abschaffen will Heinz Siegenthaler den Bundesfeiertag am 1. August freilich nicht. «Der 12. September könnte einfach zu einem zweiten Bundesfeiertag werden», sagt der BDP-Mann. Auch er weiss: In der Bevölkerung sind der 1. August und der damit verbundene Mythos fest etabliert. Als Parlamentarier kann er diesen ohnehin kaum ignorieren. Denn immer, wenn Siegenthaler das Bundeshaus betritt, kreuzen sich seine Blicke mit jenen der drei Eidgenossen, deren Skulptur in der Kuppelhalle steht.