Seit knapp einem halben Jahr kommandiert Thomas Würgler die Kantonspolizei Zürich. Im Interview gibt er Einblick in die sich wandelnden Anforderungen.
Thomas Marth
Herr Würgler, wie haben Sie sich eingelebt in Ihre neue Aufgabe?
Thomas Würgler: Gut. Die Kantonspolizei hat einen guten Geist. Das Kommando ist eine grosse Verantwortung, und ich spüre viele Erwartungen. Es ist eine spannende Zeit.
Wo liegen die Herausforderungen?
Würgler: Wir müssen uns stetig weiterentwickeln. In den letzten Jahren gab es einige Gesetzesänderungen, die sich auf die Polizeiarbeit ausgewirkt haben: Opferhilfe, Gewaltschutz oder der allgemeine Teil des Strafgesetzbuches - und bei Letzterem hat das Parlament ja bereits wieder erste Korrekturen diskutiert. Solche Änderungen bedeuten für die Polizei zum Teil Mehrarbeit. Vor allem aber bedingen sie jeweils eine gute Schulung der Mitarbeiter. Als Nächstes steht nun die Einführung einer schweizweit einheitlichen Strafprozessordnung an.
Ein Beispiel, bitte, was sie bringt.
Würgler: Zum Beispiel bringt sie eine Ausweitung der delegierten Einvernahmen, wie man sie im Kanton Zürich ja bereits seit einigen Jahren kennt. Das heisst, dass die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft auch Zeugen und Dritte befragt. Zunächst stiess das auf grosse Skepsis, hat sich mittlerweile aber gut eingespielt.
Hat die Kantonspolizei genug Geld und Personal, um ihre Aufgaben zu erfüllen?
Würgler: Wir müssen mit dem Geld auskommen, das die Politik uns zugesteht. Was den Personalbestand angeht, dieser liegt unter dem Soll. Immerhin erlauben uns Regierung und Kantonsrat, fürs nächste Jahr vier Klassen mit Aspiranten auszubilden; sonst sind es jeweils drei pro Jahr. Ich hoffe, dass es die Kantonsfinanzen zulassen, dass wir die zusätzlich Ausgebildeten auch anstellen können. Das wären für diesen Jahrgang dann nicht 100, sondern 130 neue Polizisten.
Wollen Sie etwas anders machen als Ihr Vorgänger?
Würgler: Völlig anders nicht. Was sich ändert, sind die Anforderungen. Ich sehe vor allem zwei Handlungsfelder. Zum einen ist da die Bewältigung grösserer Ereignisse, die sicher an Aktualität gewinnt. Es muss uns noch besser gelingen, auch auf Überraschungen schnell reagieren zu können. Ich nenne die Schweinegrippe als Beispiel. In einem solchen Fall hätte die Kantonspolizei eine Führungsrolle in der Krisenorganisation. Aber auch bei grossen Unfällen muss die Polizei aus dem Stand heraus bereit sein können, und dafür braucht es Schulung und Übungen.
Und das zweite Handlungsfeld?
Würgler: Die Prävention. Hier steigen die Anforderungen stetig, und oft geht es um Probleme, welche die Polizei allein nicht lösen kann. Wir sind vermehrt gefordert, zusammen mit andern Behörden und gesellschaftlichen Kräften Konzepte zu entwickeln und umzusetzen.
Konkret?
Würgler: Zum Beispiel, wenn es um Jugendgewalt oder Übergriffe im Internet geht. Amok
ist auch so ein Thema.
Wo liegen die Prioritäten für die Kriminalpolizei?
Würgler: Das ist ein Thema, mit dem sich auch der Regierungsrat befasst. Die Sicherheits-
und die Justizdirektion haben in Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaften und Polizei Schwerpunkte in der Kriminalitätsbekämpfung festgelegt. Wir sind dabei, einen Rechenschaftsbericht über Stand und Erfolg der Umsetzung zu erfassen.
Was für Schlüsse werden darin gezogen?
Würgler: Einer der Schwerpunkte zum Beispiel war das Rasen - auch ein Bereich, in dem Zusammenarbeit gefragt ist. Man sagte: Da können Polizei und Justiz nicht länger unabhän-
gig voneinander agieren, da braucht es Koordination und ein gemeinsames Konzept. Und ich denke, das hat sich bewährt.
Für die Justiz heisst das: Die meist jungen Raser schnell und hart bestrafen. Was heisst es für die Polizei?
Würgler: Es heisst, dass man auf beiden Seiten versucht hat, Spezialwissen zu erlangen. Die Polizei weiss heute, welche Strassen um welche Uhrzeiten für Strassenrennen besonders infrage kommen. Und wird ein Raser überführt, werden seine Ausreden konsequent hinterfragt, damit im Gerichtsverfahren auch angemessene Anklagen und Urteile möglich sind.
Ein weiterer regierungsrätlicher Schwerpunkt war die Gewalt bei Sportveranstaltungen. Da war man weniger erfolgreich.
Würgler: Das würde ich nicht sagen. Die Fussball-EM verlief sehr gut. Auch die Spiele der Eishockey-WM in Kloten, wo vor allem die Kantonspolizei engagiert war, blieben friedlich - entgegen allen Befürchtungen. Gut, in letzter Zeit gab es immer wieder Problemspiele, wenn auch weniger in Zürich. Aber auch das ist ein Thema, bei dem nicht die Polizei allein gefordert ist.
Ihrer Ansicht nach sollte die Polizei nicht auch im Stadion für Ordnung sorgen?
Würgler: Ich denke, die bestehende Aufgabenteilung ist richtig. Der Klub ist Veranstalter und somit auch für die Sicherheit im Stadion verantwortlich. Aber es gibt zweifelsohne ein gewisses Verbesserunspotenzial bei den Massnahmen gegen Hooliganismus. Das wird jetzt ja auch auf Stufe Bund diskutiert.
Was die technische Ausrüstung angeht: Ist die Kapo auf dem neusten Stand?
Würgler: Wir sind nie auf dem allerneusten Stand. Das geht nicht. Aber wir sind gut ausgerüstet. Dieses Jahr zum Beispiel wird das Korps mit einer neuen Pistole ausgerüstet. Eine Neuerung gibt es auch im Funk: Wie bereits in zahlreichen Kantonen geschehen, stellen wir nächstens auf das System Polycom um.
Was ist der Vorteil?
Würgler: Mit Polycom ist es möglich, sich mit den Funknetzen anderer Organisationen wie Feuerwehr oder Zivilschutz sowie anderer Kantonspolizeien zusammenzuschalten. Das erleichtert die Kommunikation bei Grossereignissen und Fahndungen über die Kantonsgrenzen.
Wie beurteilten Sie die Zusammenarbeit mit der Stadtpolizei Zürich?
Würgler: Ich glaube nicht, dass es irgendwo ein ernsthaftes Problem gibt. Wichtig ist, dass man zusammenarbeitet und konkret etwas auf die Beine stellt, das Verbesserungen bringt. Wie bekannt ist, wird in absehbarer Zukunft der Aufbau einer gemeinsamen Polizeischule und die Zusammenlegung der Kriminaltechnischen Dienste ein Thema sein.
Der Versuch, Letzteres zu vollziehen, hat in der Vergangenheit zu gröberen Spannungen geführt. Tempi passati?
Würgler: Ich kann nicht von früher reden. Ich sage: Mir ist die Zusammenarbeit wichtig, und ich sehe, dass die Kollegen bei der Stadtpolizei ebenfalls an einer engen und sachlichen Zusammenarbeit interessiert sind. Da gibt es keine Vorbehalte.