Ylva Backman, Mittelalter-Spezialistin bei der Kantonsarchäologie, würde brennend gerne die letzten grösseren unüberbauten Flächen in der Stadt Solothurn und in Altreu angraben. Backman verrät, was sie unter dem Boden erwartet.
Stefan Frech
Der Platz, auf den Ylva Backman zeigt, ist uninteressant, öde. Nur ein paar Autos stehen auf dem Kies. Doch man spürt es förmlich, wie es die Archäologin in den Fingern kribbelt - wie sie diese am liebsten dreckig machen würde, um endlich herauszufinden, was sich unter der rund 500 m2 grossen Freifläche an der Schmiedengasse in der Stadt Solothurn befindet. Doch Ylva Backman muss sich gedulden: «Hier wird wohl noch längere Zeit nicht gebaut», sagt die Spezialistin fürs Mittelalter bei der Kantonsarchäologie etwas enttäuscht. Denn erst dann darf sie im Rahmen einer Notgrabung einen Bagger oder Spaten zur Hand nehmen und die archäologischen Geheimnisse der grössten noch unerforschten, weil unüberbauten Fläche in der Stadt Solothurn lüften.
Archäologen bei der Arbeit
Archäologen lüften verborgene Geheimnisse, indem sie im Boden graben und alte Funde auswerten. Ihre Arbeit fasziniert breite Bevölkerungsschichten, viele Bauherren hingegen fürchten sie. Diese Zeitung stellt Mitarbeiter der Solothurner Kantonsarchäologie vor und zeigt die verschiedenen Aspekte ihrer Arbeit. (sff)
Endlich Einblick ins Frühmittelalter?
«Wenn man gräbt, weiss man nie genau, auf was man stösst», erklärt Backman. «Dieses Unerwartete ist das Faszinierende an der Arbeit als Archäologin.» Ein Stein kann immer nur ein Stein sein, aber auch ein Stück einer Mauer und diese wiederum beispielsweise Teil eines Klosters. Das könnte dann die Geschichte einer Stadt auf den Kopf stellen. Ein Kloster dürfte kaum unter dem Platz an der Schmiedengasse zum Vorschein kommen, Backman hofft aber schon lange, endlich Siedlungsbefunde aus dem Frühmittelalter (5. bis 10. Jahrhundert n. Chr.) in der Stadt Solothurn machen zu können. «Vielleicht findet man sie ja hier.»
Doch Backman bleibt vorerst auf dem Boden. Sie hat nämlich gewisse Vorstellungen und Anhaltspunkte, auf was die Archäologen unter dem Parkplatz stossen würden. «Zunächst würde man die Fundamente der letzten hier stehenden Gebäude - vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammend - finden.» Eine Schicht tiefer ist mit mittelalterlichen Gebäuderesten zu rechnen. «Ich vermute kleine, zweistöckige Häuser, die um einen Innenhof gruppiert waren.» Und dann würden Backman und ihre Kollegen weitergraben, die freigelegten Mauern und Erdschichten wegtragen. «Wir müssen unsere Befunde stets selber zerstören, um zu den tieferen Schichten vorzustossen.» Deshalb wird auch jedes Ausgrabungsstadium genau dokumentiert: fotografiert, vermessen, gezeichnet und dann später ausgewertet.
Von Schweden an die Aare
Die stellvertretende Kantonsarchäologin würde die Ausgrabung an der Schmiedengasse wohl nicht selber vor Ort leiten, sondern im Büro koordinieren. «Ich grabe seit Jahren fast nicht mehr selber», sagt Ylva Backman. Die gebürtige Schwedin arbeitet seit 1982 als Archäologin in Solothurn, zunächst als Zeichnerin auf dem römischen Gutshof beim Spitalhof Biberist, dann übernahm sie die Ausgrabungen in den Vigier-Stadthäusern. Seither ist sie die Spezialistin fürs Mittelalter bei der Kantonsarchäologie. Es folgten zahlreiche weitere Ausgrabungen, vor allem in der Stadt Solothurn. «In den 1980er Jahren herrschte ein Bauboom.» Davon durfte Backman profitieren. Denn das Graben fasziniert sie nach wie vor am meisten. Heute ist Backman vor allem mit Neuauswertungen früherer Ausgrabungen und mit «viel Administration» beschäftigt. So kontrolliert sie etwa die Baupublikationen im Kanton und nimmt mit den Bauherren Kontakt auf, falls sie dort etwas im Boden liegend vermutet. «Wir haben noch nie einen Baustopp verordnet», betont Backman. Meist begleite ein Archäologe einfach den Aushub. Wenn es wirklich «heiss» wird, wird eine Sondier- und dann allenfalls eine Notgrabung gemacht. Das kann ein Bauprojekt verzögern. «Auf dem Platz an der Schmiedengasse würden wir wohl mit zehn Personen vier Monate lang graben», glaubt Backman.
Zeugen einer römischen Besiedlung
Und dann würde sie irgendwann vielleicht auf die von ihr so sehr gewünschten Überreste einer frühmittelalterlichen Besiedlung stossen, auf Mauern, Scherben oder vielleicht Gräber. Backman müsste dann aber die Mauern zerstören und weitergraben. Sehr wahrscheinlich würde sie dann auf Überreste aus römischer Zeit stossen. Gleich östlich an den Schmiedengassenhof angrenzend waren nämlich die Kantonsarchäologen Anfang der 1990er Jahre auf Keramikbrennöfen aus der Zeit der ersten zivilen Siedlung, dem Vicus, gestossen (1. bis 3. Jahrhundert n. Chr.). Und südlich des Platzes befand sich das um 330 gebaute spätrömische Castrum, eine kleinere zivile Siedlung, deren mächtigen Befestigungsmauern immer noch in den heutigen Häusern erhalten sind.
Riedholzplatz und Altreu im Visier
Das alles wartet an der Schmiedengasse noch auf die 57-jährige Archäologin - ob als Kantonsangestellte oder nur als Zuschauerin, ist allerdings noch offen. «Es tut manchmal schon ein bisschen weh, dass wir erst dann und nur dort graben dürfen, wo etwas gebaut wird», sagt Backman. Sie kennt noch mindestens zwei andere Orte, wo sie «brennend gern graben» würde: auf dem Solothurner Riedholzplatz, weil Backman wissen möchte, ob dort tatsächlich um 1200 eine Stadtburg stand, und in Selzach an der Aare, wo sich unter einer Wiese die 1375 zerstörten Häuser der damaligen Stadt Altreu befinden. «Wenn auf dieser Wiese irgendeinmal Einfamilienhäuser gebaut werden, dann haben wir eine schöne Grabung», sagt Backman und lächelt.