Reportage
Wenn der letzte Bulli vom Fliessband rollt, wird so manche Träne verdrückt

Brasilien verabschiedet sich vom legendären VW Bus. Nach insgesamt 63 Jahren Dauerproduktion wird bei São Paolo die letzte Serie produziert werden. Nicht nur für die Arbeiter emotionaler Moment – ein finaler Augenschein vor Ort.

Konrad Stähelin, São Paulo
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Nicht nur Nostalgikern fällt der Abschied schwer: Mitarbeiter fertigen am 9. Dezember im VW-Werk in São Bernardo do Campo einen der letzten VW Bulli.Andre Penner/AP/Keystone

Nicht nur Nostalgikern fällt der Abschied schwer: Mitarbeiter fertigen am 9. Dezember im VW-Werk in São Bernardo do Campo einen der letzten VW Bulli.Andre Penner/AP/Keystone

KEYSTONE

Die Mitglieder des «Sampa Kombi Clube» haben ein letztes Mal alles gegeben: Die Teppiche im Innenraum entstaubt, den Lack auf Hochglanz poliert, die Fenster geschrubbt. Alles für diesen letzten grossen Auftritt, solange die Fliessbänder noch laufen; ihren grössten wohl, jetzt wo die Medienleute aus der ganzen Welt hier versammelt sind: die «Despedida», das Abschiedsfest.

63 Jahre in Produktion

Der Anlass ist ein trauriger, wie meistens beim Abschied: Der Kombi, auf Deutsch besser bekannt als Bulli, ist am Ende angelangt. Morgen wird der legendäre VW Bus, der 63 Jahre lang die Nachkriegsgeschichte mitgeschrieben hat, im Werk Anchieta vor den Toren der Millionenmetropole São Paulo ein letztes Mal vom Band laufen – wenn sich die Politiker nicht doch noch umentscheiden.

Nun stehen sie da, in Reih und Glied, gut hundert Bulli-Besitzer mit ihren Lieblingen auf dem Parkplatz der Fabrik, zwölf Tage bevor die Fliessbänder stoppen. Einige wenige mit Versionen der Erstausgabe T1, die Mehrheit mit ihren T2. Sie kommen überwiegend aus der Nähe.

Ein paar wenige haben sich aus Curitiba im Bundesstaat Paraná auf den langen Weg gemacht, sind acht Stunden auf den Fernstrassen den Schlaglöchern ausgewichen. Alles, um dem Kombi die letzte Ehre zu erweisen. Und natürlich – dafür pflegen solche Leute ein solches Gefährt – um Lob auszuteilen und einzuheimsen.

Auch als Krankenwagen wurde der Bulli verwendet.
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Alles was hält, funktioniert.
Einen Bulli kann man ganz einfach «personalisieren».
Geräumige Ladefläche
So kennt man ihn: Den Flower-Power-Bulli.
Klein Bulli und das Original.
Bullis in allen Farben.
Ein etwas mitgenommenes Exemplar.
Etwas kurz geraten: Ein zitronengelber Bulli.

Auch als Krankenwagen wurde der Bulli verwendet.

Konrad Stähelin

Der Bulli ist ein Lebensgefühl

Paulo Coelho – er heisst wirklich wie der erfolgreich Schriftsteller – bekommt für seinen T1 besonders viele Komplimente. «Der Kombi ist meine Leidenschaft. Er ist ein Lebensgefühl, er steht für Freiheit. Deswegen bin ich jetzt auch so traurig», sagt er. Es würde an einem Treffen von Bulli-Nostalgikern in der Schweiz nicht anders klingen. Nur würde dort wohl nicht so viel Wert auf das gelegt, was Coelhos Grossmutter Marcilia Rodriguez do Prado Coelho (87) anfügt: «Der Kombi war so billig, wir haben ihn auch deswegen ins Herz geschlossen.»

Auch Sanität und Armee

Der Bulli kostete zuletzt 47 000 Reais (ca. 18 000 Franken), ein unschlagbarer Preis. 1,12 Millionen Mal hat ihn Volkswagen do Brasil in den letzten 56 Jahren verkauft. Und das im ganzen Land: Im Concrete Jungle von São Paulo genauso wie in der Wüstenlandschaft des Sertão im Nordosten.

Der Eismann fährt Kombi, die Feuerwehr, sogar die Sanität und die Armee. Meist aber das Gewerbe. Ganz pragmatisch, ohne zu viel Nostalgie. Natürlich hat kein Handwerker sein Geschäftsauto zum Treffen auf das VW-Gelände gefahren. Er wird ihn erst vermissen, wenn er für den nächsten Wagen ein paar Tausend Reais mehr bezahlt.

Würde die Politik dem Bulli nicht den Riegel schieben, der Markt für ihn wäre noch da. Denn auch wenn die ganz fetten Jahre vorerst vorbei sind: Brasilien ist auf dem Weg zur Industrienation, die Wirtschaft wächst und wächst noch immer. So wie Europa in seinen besten Tagen, damals, in den 50ern und 60ern. Als der Bulli noch in Deutschland gebaut wurde und zum Symbol des Wirtschaftswunders wurde.

Jahrgang 2013 und der letzte seiner Art: Viel ist beim Bulli immernoch Handarbeit
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Ein fabrikneuer Bulli: Gibts in Brasilien für ungefähr 18000 Franken
Der letzte Jahrgang des Bulli bei der Fertigung
Der letzte Jahrgang des Bulli bei der Fertigung
Der letzte Jahrgang des Bulli bei der Fertigung
Der letzte Jahrgang des Bulli bei der Fertigung
Der letzte Jahrgang des Bulli bei der Fertigung
Der letzte Jahrgang des Bulli bei der Fertigung
Ich bin auch ein Ambulanzfahrzeug.
Die «Last Edition»: Ein Luxusvariante mit elektrischen Scheibenwisscher und anderen Goodies.

Jahrgang 2013 und der letzte seiner Art: Viel ist beim Bulli immernoch Handarbeit

Zur Verfügung gestellt

Viel ist Handarbeit

Anderntags in der Fertigungshalle des Werks wähnt sich der Besucher ganz in diese Golden Ages zurückversetzt: Vieles, was eine Etage höher für die Produktion des beliebten Kleinwagens Gol die Maschinen erledigen, übernehmen in der Bulli-Fertigung die Arbeiter noch von Hand. Das beste Beispiel: Sie bemalen die Karosserie. Ganz in weiss, natürlich: So ist es für die KMU am einfachsten, das Fahrzeug mit ihrem Namen zu beschriften.

Nur 1200 Exemplare kriegen einen anderen Anstrich, babyblau-weiss. Es ist die «Last Edition», eine Sonderkarosse zur Abdankung. Mit Schnickschnack, das der Normalo-Bullifahrer nicht geniesst: Getönte Fenster, elektrische Scheibenheizung, Teppiche oder Gardinen. Der Preis: knapp doppelt so hoch wie jener der Standardversion.

Die Kombi-Fans reissen sich um die Luxusvariante: «Wir hatten zu Beginn 600 Exemplare der Last Edition angekündigt», sagt Marcus Vinicius Texeira, leitender Ingenieur im Werk. «Die Leute haben uns die Türen eingerannt, deswegen stellen wir nun doppelt so viele her. Es sind schon alle ausverkauft.»

Arbeiter werden weiterbeschäftigt

Während Texeira dies den Journalisten in die Notizblöcke diktiert, fliessen nebenan die Tränen. Einige Arbeiter standen während Jahrzehnten für den Bulli am Fliessband, der Abschied rückt immer näher. Danach werden sie weitergeschoben, fertigen ein anderes Modell. 750 sind es an der Zahl, die umsatteln müssen.

«Wir wissen noch nicht, an welchem Auto wir im neuen Jahr arbeiten werden», sagt Allan Rodrigues, Fliessbandarbeiter. «Aber immerhin behalten wir unseren Job.» Somit fällt für ihn der Abschied von der Legende etwas weniger schmerzvoll aus.

Der Bulli selbst wird ebenfalls versöhnlich scheiden: Die letzte produzierte Version – eine klassische, weisse – wird nach Deutschland verschifft werden. Und dort, wo er zuhause ist, im Museum der Nutzfahrzeugabteilung von Volkswagen in Hannover seine letzte Ruhe finden.

Die Reise des Autoren erfolgte auf Einladung von Volkswagen Nutzfahrzeuge.