Er war einmal ganz oben, mit sich und der Welt überaus zufrieden. Dann gab es einen herben Bruch in seinem Leben und er suchte Trost im Alkohol.
Rosmarie Mehlin
Der Konsum von Alkohol ist ja grundsätzlich nicht verboten. Sehr wohl aber, sich mit reichlich solchem intus ans Steuer zu setzen. Und genau das hat Willy (Name geändert) getan: Bereits zum dritten Mal stand er wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand vor Gericht. Hatte es beim ersten Mal «einen Bedingten» abgesetzt, beim zweiten Mal eine teilbedingte Geldstrafe, so war diesmal eine unbedingte Freiheitsstrafe von 10 Monaten beantragt.
Dass er nicht mehr mit einem bedingten Verdikt davonkommen würde, war auch Willy und seiner Anwältin sonnenklar. Die Frage war nur, wie die Strafe genau lauten würde. Und da hatte es Einzelrichter Peter Rüegg nicht leicht, denn der «Fall Willy» entpuppte sich als äusserst tragisch.
Selbstunfall im Suff
Unumwunden gibt Willy zu, im letzten November auf einer Beizentour zwischen 11.30 Uhr und 18 Uhr insgesamt 5 Dezi Bier, 8 «Zwetschgenluz» und 2 Wodka-Bitter-Lemon gebechert zu haben. Um 18.40 Uhr hatten Passanten ihn neben seinem Roller auf der Strasse liegend gefunden: Bei einem Selbstunfall hatte Willy sich einen Schlüsselbeinbruch, mehrere Rippenbrüche und eine Gehirnblutung zugezogen.
Er könne sich, sagte er dem Richter, lediglich erinnern, dass er eigentlich nicht fahren, sondern den Roller zur in der Nähe lebenden Freundin hatte schieben wollen. Den Spuren nach war er doch gefahren, hatte mindestens den Versuch unternommen.
Willy ist ein kräftig gebauter Mann mit Stiernacken, der sich draussen locker gibt. Drinnen, vor dem Richter aber, ist er sichtlich nervös. Und als er über sich zu reden beginnt, wird rasch klar, wie sehr das Äussere eines Menschen doch täuschen kann.
Denn psychisch ist er ein Wrack. Willys beruflicher und privater Niedergang hatte Ende 2004 begonnen, als seine Ehe am Ende und er daheim ausgezogen war. Im Sommer 2005 hatte er einen Herzinfarkt erlitten.
Im selben Jahr hatte die Bank, bei der er eine zentrale Stelle innehatte - «ich hatte sie aufgebaut und zum Erfolg geführt» -, fusioniert, im Sommer 2006 war das neue Bankinstitut negativ in die Schlagzeilen geraten. «Das Schlimmste von allem war die Trennung von meiner Tochter, die ich vergöttere und mit der meine Ex-Frau jetzt gänzlich jeden Kontakt verunmöglicht.»
Willy hat einen Suizidversuch hinter sich, seine Depressionen wurden bereits mehrfach stationär in psychiatrischen Kliniken und ständig medikamentös behandelt. Ende 2006 war er krankgeschrieben worden, hatte zwei Jahre lang sehr hohe Taggelder erhalten und danach - wider seinen Willen - IV beantragen müssen.
Heute bekommt er monatlich 2200 Franken. «Ich bin aber überzeugt, dass ich wieder werde arbeiten können; ich war mein Leben lang workaholic.» Er lebt jetzt bei seiner alten Mutter und betreut sie. Nein, abstinent sei er nicht, das wolle er auch nicht sein, aber er habe die Sache jezt total im Griff.
Gutachten angeordnet
Die Verteidigerin betonte, dass Verzweiflung und nicht kriminelle Energie hinter Willys Fehltritten gestanden hätten. Er sei körperlich und seelisch am Boden und vermindert schuldfähig. Eine Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten sei angemessen und diese sei zugunsten einer ambulanten Massnahme aufzuschieben.
Richter Rüegg fällte noch kein Urteil. Er ordnete die Erstellung eines Gutachtens an: «Die Gefahr eines Rückfalls steht im Raum und damit die Gefährdung der Öffentlichkeit durch Fahren im angetrunkenen Zustand. Darum muss jetzt dringend abgeklärt werden, wie ein Rückfall am besten vermieden werden kann. Gleichzeitig soll das Gutachten die Frage der verminderten Schuldfähigkeit klären.»