Die Zahl der Schweinegrippe-Fälle steigt. In der Schweiz waren gestern 272 Fälle bestätigt. Das Bundesamt für Gesundheit rechnet im Herbst mit bis zu 2 Millionen Grippe-Kranken. Was heisst das für das Leben in der Schweiz? Was können wir noch tun – und was nicht? Eine MZ-Recherche gibt Antworten.
Jessica Pfister,
Hans-Peter Wäfler
1. KÖNNEN WIR NOCH BAHN, BUS UND TRAM FAHREN?
Im Falle einer Schweinegrippe-Pandemie in der Schweiz müssen Pendler allenfalls länger warten, bis ein Tram oder ein Bus kommt. «Wir würden alle Linien betreiben, aber den Takt von 6Minuten könnten wir vielleicht nicht mehr einhalten», sagt Annegret Hewlett, Sprecherin von Bern Mobil. Die SBB würden gemäss ihren Szenarien den Bahnverkehr nur auf wenig frequentierten Linien reduzieren. Um genügend Chauffeure einsetzen zu können, könnte der Zürcher Verkehrsverbund auch auf Angestellte aus Büros zurückgreifen. Betriebe des öffentlichen Verkehrs erwägen zudem Massnahmen, um ihr Fahrpersonal besser gegen eine Ansteckung mit der Schweinegrippe zu schützen. In Trams und Bussen der Stadt Bern könnte der Führerstand zusätzlich mit Plexiglas-Scheiben abgeschirmt werden. Noch weiter könnte es bei den Postautos gehen: «Wir erwägen, dass in Postautos niemand mehr auf die Plätze gleich hinter dem Chauffeur sitzen darf», sagt Richard Pfister, Leiter Medienstelle der Post.
2. KÖNNEN WIR NOCH LEBENSMITTEL EINKAUFEN?
Mit Einschränkungen wird das gehen. Bei Migros und Coop will man an die Kunden am Filialeingang Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel verteilen. Zudem sollen die Produkte nur noch verpackt über den Ladentisch gehen. «Die Szenarien hängen davon ab, wie und wo sich die Schweinegrippe ausbreitet», erklärt Migros-Sprecher Urs Peter Naef. Wegen Personalmangel könnten gar einzelne Geschäfte geschlossen bleiben. Die Zulieferbetriebe sind ebenfalls vorbereitet. So ist ein Notsortiment bestimmt worden, um die Bevölkerung mit den wichtigsten Grundnahrungsmitteln zu versorgen. Dazu zählen Bestände von Teigwaren oder Reis, Öl und Zucker. Zusätzlich ein Ergänzungsvorrat, der beispielsweise Fleisch-, Frucht- und Gemüsekonserven, Knäckebrot, Schokolade, Beutelsuppen oder Kaffee umfasst.
3. KÖNNEN WIR UNSERE KINDER NOCH IN DIE SCHULE SCHICKEN?
Der Entscheid, wann ganze Schulen geschlossen werden, liegt bei den einzelnen Kantonen. «Es ist sinnvoll, wenn man vor Ort, von Fall zu Fall entscheidet», sagte Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit vergangene Woche nach einer Sitzung mit Kantonsvertretern. Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sprach Thomas Schochat, stellvertretender Berner Kantonsarzt, davon, ganze Klassen oder Schulen zu schliessen, sobald zwei Schweinegrippe-Fälle bestätigt sind. Das empfiehlt auch Anne Witschi, Kantonsärztin von Basel-Stadt. Zudem hält sie es für angebracht, dass auch enge Freunde und Geschwister von erkrankten Kindern für sieben Tage zu Hause bleiben. Zurückhaltender gegenüber Schulschliessungen sind die Kantone Zürich und Aargau. So sollen in Zürich erkrankte Kinder nach Hause geschickt werden, ihre Geschwister aber weiterhin zur Schule gehen.
4. KÖNNEN WIR NOCH AUF EIN FUNKTIONIERENDES GESUNDHEITSWESEN ZÄHLEN?
Das Kantonsspital Aarau hat vor vier Wochen seinen Pandemiestab aktiviert. Sollte eine Schweinegrippe-Pandemie in der Schweiz ausbrechen, dann würden nichtzwingende Operationen verschoben werden, sagt CEO Urs Karli: «Wir müssten Wahleingriffe zurückstellen und Kapazitäten für Grippeerkrankte schaffen.» Bereits hochgefahren hat das Kantonsspital Aarau seine Bestände an Masken, Händealkohol und Medikamenten. Vorbereitungen auf eine Grippepandemie trifft auch das Alters- und Pflegeheim St. Katharinen in Solothurn. «Um genügend Pflegepersonal zu haben, würden wir die Einsatzpläne anpassen und Schichten verlängern», erklärt Heimleiter Peter Aegerter. Möglich sei aber, dass weniger Hilfe bei der Betreuung von Heimbewohnern - zum Beispiel beim Anziehen, Zähneputzen oder Kämmen - geleistet werden kann.
5. KÖNNEN WIR NOCH INS KINO?
Wenn man spezielle Hygienemassnahmen beachtet. Die Kinobetreiber gehen jedenfalls davon aus, dass sie ihren Betrieb aufrechterhalten können. Einige werden sogar richtig kreativ: «Wir prüfen gerade, ob wir den Kinobesuchern am Eingang Masken mit aufgedrückter Kinowerbung abgeben können», sagt Konrad Schibli von der Oltner Cinemas AG. Am Eingang soll es zudem die Möglichkeit geben, sich die Hände zu desinfizieren. «Zudem überlegen wir uns, in den Kinos nur noch jeden zweiten Sitzplatz zu verkaufen.» Bei den Mitarbeitern wird Impfen laut Schibli klar Vorschrift sein. Zudem sollen sie sich die Haare zusammenbinden und spezielle Handschuhe tragen.
6. KÖNNEN WIR NOCH GROSSANLÄSSE BESUCHEN?
Im Pandemieplan der Kantone steht, dass Grossanlässe wie Fussball- und Hockeyspiele oder Konzerte im Pandemiefall verboten werden können. «Wir sind momentan dabei, mit den Kantonen auszuarbeiten, unter welchen Bedingungen Anlässe verboten würden» sagt Jean-Louis Zurcher vom Bundesamt für Gesundheit. Für die konkrete Umsetzung seien aber die Kantone verantwortlich. Bei den Veranstaltern selber verweist man ans BAG. «Präventivmassnahmen wie Mundschutz an Konzerten haben wir bis jetzt nicht geplant», sagt Marc Reinhardt vom Konzertveranstalter Good News. Auch bei der Schweizerischen Eishockey-Liga und beim Fussballverband will man sich an die BAG-Richtlinien halten.
7. KÖNNEN WIR NOCH INS AUSLAND FLIEGEN?
Für Unique, die Betreiberin des Flughafens Zürich, wäre vor allem eine Grippe-Erkrankung von Fluglotsen problematisch. «Wenn viele Fluglotsen gleichzeitig ausfallen würden, dann würden die Lande- und Startraten herabgesetzt», sagt Unique-Mediensprecher Marc Rauch. Er geht aber auch davon aus, dass im Falle einer Grippe-Pandemie in der Schweiz «grundsätzlich wohl wenig Leute reisen». Damit rechnet auch die Fluggesellschaft Swiss. Dort prüft man derzeit, wer von den Mitarbeitern alles von zu Hause aus arbeiten könnte, um von einer Grippe-Ansteckung geschützt zu werden. Was für Ticket-Verkäufer geht, das geht aber nicht für Piloten. «Sollte ein Viertel der Piloten ausfallen, dann müssten wir den Flugplan adaptieren», so Swiss-Sprecher Jean-Claude Donzel.
8. KÖNNEN WIR BEI DER BANK NOCH GELD ABHEBEN?
«Überall dort, wo ein direkter Mensch-zu-Mensch-Kontakt stattfindet, könnte es zu Einschränkungen kommen», teilt die Zürcher Kantonalbank (ZKB) mit. Das gilt zum Beispiel für Beratungsgespräche. Es könnte aber auch vorkommen, dass vereinzelte der so genannten «offenen» Bankfilialen, in denen die Kunden und Bankangestellte am Schalter nicht durch Sicherheitsglas voneinander getrennt sind, eingeschränkt funktionieren. Um Bargeldgeschäfte zu tätigen, müssten Kunden dann auf andere Filialen oder Bancomaten ausweichen. Ihren Mitarbeitern hat die ZKB bereits ein Paket mit 50 chirurgischen Masken zum Schutz vor der Schweinegrippe abgegeben.
9. KÖNNEN WIR NOCH MIT DER POST BRIEFE VERSCHICKEN?
Bei der Post geht man davon aus, die Grundversorgung auch dann aufrechterhalten zu können, wenn 15 bis 25 Prozent der Belegschaft ausfallen sollten. Allerdings ginge das nicht ohne Abstriche bei Umfang und Qualität der Dienstleistungen, sagt Richard Pfister, Leiter der Medienstelle der Post: «Es könnte zum Beispiel sein, dass Briefe dann statt am Morgen erst am Nachmittag zugestellt werden.» Um die Grundversorgung zu gewährleisten, erwägt die Post zudem, gewisse Abteilungen zu schliessen, um Personal anderweitig einsetzen zu können. «Möglich ist», so Pfister, «dass kleinere Poststellen vorübergehend geschlossen bleiben.»
10. KÖNNEN WIR DEN ABFALLSACK NOCH VOR DIE TÜR STELLEN?
Die Kantone haben die Gemeinden aufgerufen, sich über die Abfallentsorgung während einer Pandemie Gedanken zu machen. «Das Ziel ist natürlich, dass die Abfuhr, Kehrichtverbrennung oder Abwasserreinigung möglichst nicht eingeschränkt werden», sagt David Schönbächler vom Amt für Umwelt Aargau. Aber es könne im Falle eines Personalmangels natürlich sein, dass beispielsweise der Haushaltkehricht nicht mehr jede Woche, sondern nur noch jede zweite Woche abgeholt wird.
11. KÖNNEN BEZIEHUNGSWEISE MÜSSEN WIR NOCH ZUR ARBEIT?
Wer Grippesymptome hat, soll gemäss Bundesamt für Gesundheit unbedingt zu Hause bleiben. Nach bisherigen Erkenntnissen sind die Symptome praktisch dieselben wie bei einer normalen Grippe: Fieber über 38 Grad (muss aber nicht unbedingt sein), Halsschmerzen, Husten und Schnupfen. Typisch sind auch Schüttelfrost, Muskel-, Kopf- oder Gelenkschmerzen. Wichtig ist, dass Kranke nicht nur so lange zu Hause bleiben, bis die Symptome vollständig abgeklungen sind, sondern noch einen Tag darüber hinaus. Grosse Firmen wie beispielsweise die ABB Schweiz haben einen Pandemieplan entwickelt. Für die Mitarbeitenden gibt es dort zu allen wichtigen Stichworten (Hygiene, persönliches Verhalten, Symptome etc.) Merkblätter. Mitarbeitende, die im Ausland waren und innert sieben Tagen Grippesymptome entwickeln, müssen einen Arzt konsultieren.