Eine 13-Jährige hatte letztlich einen Schutzengel: Nachdem ein Bus sie frontal erfasst hatte, war sie mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Spital eingeliefert worden. Heute ist sie 16 und wieder ganz gesund.
Rosmarie Mehlin
Der Chauffeur, der jenen Bus gelenkt hatte, musste sich dieser Tage wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung in Baden vor dem Einzelrichter verantworten. «Ich fühle mich unschuldig», sagte der heute 58-Jährige zu Beginn der Verhandlung. Seit über 30 Jahren ist er Berufschauffeur, war stets unfallfrei gefahren. An jenem Mittwoch im Juli 2006 war er mit dem Bus der Regionalen Verkehrsbetriebe kurz vor 18 Uhr auf der Bahnhofstrasse in Spreitenbach unterwegs. Er fuhr von einer Haltestelle weg, hatte etwa 30 Stundenkilometer drauf, als es nach knapp 70 Metern passiert war: ein Fussgängerstreifen, ein Kind, ein Aufprall . . .
«Ich hatte das Kind überhaupt erst gesehen, als ich zwei oder drei Meter vor dem Streifen war und da lief es auch schon direkt vor den Bus. Trotz Vollbremsung hatte ich keine Chance», so der Chauffeur. Die 13-Jährige hatte später ausgesagt, in derselben Richtung wie der Bus gegangen, dann am Streifen angehalten zu haben und einer Kollegin auf der gegenüberliegenden Seite etwas zugerufen zu haben, was diese aber energisch in Abrede stellte. An den Unfall selber hat das Opfer keinerlei Erinnerungen. Ein Buspassagier hatte ausgesagt, das Mädchen sei auf dem Trottoir dem Bus entgegengelaufen, dann abrupt und unvermittelt, mit einem unverhofften 90-Grad-Schwenker, auf den Streifen gerannt.
Vortrittsrecht ist nicht absolut
Der Staatsanwalt hatte für den Chauffeur eine bedingte Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 120 Franken und 500 Franken Busse gefordert. Der Verteidiger betonte, dass das Vortrittsrecht eines Fussgängers auf einem Zebrastreifen nicht absolut sei. Er müsse vielmehr zwingend dem Bremsweg der Fahrzeuge Rechnung tragen: «Man darf also nicht auf einen Streifen treten, wenn ein Fahrzeug bereits so nah ist, dass es nicht mehr angehalten werden kann.» Da der Sachverhalt darüber, aus welcher Richtung das Kind gekommen war, ebenso wenig habe geklärt werden können wie dessen Verhalten am Fussgängerstreifen, könne der Chauffeur gemäss dem Grundsatz «in dubio pro reo» nicht schuldig gesprochen können.
Zu diesem Schluss kam auch Einzelrichter Peter Rüegg und sprach den Busfahrer frei. «Es war ein sehr tragischer Unfall, doch kann nicht rechtsgenüglich nachgewiesen werden, dass er hätte vermieden werden können,», so der Richter. Überdies müsse der Tatsache Rechnung getragen werden, dass das Beschleunigungsgebot missachtet worden ist. «Vom Unfall bis zu dieser Verhandlung hat es viel zu lange gedauert. Ich weiss nicht, wo der Fall liegen geblieben war, ob beim Bezirksamt oder bei der Staatsanwaltschaft - hier beim Gericht jedenfalls nicht», hielt Rüegg dezidiert fest.