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Zwei Gemeindepolitikerinnen aus der italienischen Kleinstadt Castel Volturno preisen sich am Strassenrand für Sex an - beissen die Autofahrer an, eilt der Bürgermeister herbei und redet ihnen ins Gewissen.
Anastasia P. und Stefania S. sind jung, attraktiv und bekleiden ein unspektakuläres Nebenamt: Sie sind Gemeindeparlamentarierinnen von Castel Volturno, einer Kleinstadt an der domitianischen Küste etwa 40 Kilometer nordwestlich von Neapel. Doch nun redet halb Italien von den beiden: Mit hohen Stiefeln, Strapsen und tiefem Ausschnitt gingen sie – als vermeintliche Prostituierte aufgemacht – im Kampf gegen den illegalen Strassenstrich für einen Tag selber auf die Strasse. Freiwillig. Die unkonventionelle Idee stammt vom Bürgermeister Dimitri Russo, der die Aktion heimlich filmen liess; einen Ausschnitt davon hat die Gemeinde ins Internet gestellt.
Man muss sich das so vorstellen: Anastasia P. und Stefania S. warten auf dem Trottoir auf Kundschaft. Ein Auto hält an, der Fahrer kurbelt das Seitenfenster hinunter, erkundigt sich nach den Dienstleistungen und dem Preis, bald ist man sich handelseinig. Dann kommt – drapiert mit der grün-weiss-roten Schärpe der italienischen Gemeindeoberhäupter – Bürgermeister Dimitri Russo aus seinem Versteck hervorgeschossen.
Er nimmt den überrumpelten Freier ins Gebet, weist auf die Gesetzeswidrigkeit seines Verhaltens hin und klärt ihn bei dieser Gelegenheit auch gleich noch über die Neuerungen bei der kommunalen Mülltrennung auf. Und kurz darauf stehen auch noch zwei zuvor ebenfalls versteckte Gemeindepolizisten ums Auto herum, notieren das Nummernschild, verlangen die Ausweispapiere des Fahrers und füllen eine Anzeige aus.
Aber wirklich lustig ist das alles nicht – Russos Aktion war in Wahrheit ein Hilfeschrei. In Castel Volturno stehen an allen Ecken Prostituierte aus Afrika und Osteuropa. Die Kleinstadt liegt im Herzen eines von der Mafiaorganisation Camorra beherrschten Landstrichs; weite Teile der einst von Goethe besungenen, zauberhaften domitianischen Küste sind heruntergekommen – ein trostloses, mit hässlichen, illegalen Bauten zubetoniertes Niemandsland der Clans. Im September 2008 metzelte ein Killerkommando mit Maschinenpistolen sieben unbescholtene, schwarze Immigranten nieder – einfach so, zur Einschüchterung und als Machtdemonstration. Die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Prostitution wäre eigentlich Sache der Carabinieri und der nationalen Polizei. Doch zumindest bezüglich des Strassenstrichs unternimmt der Staat wenig – und so griff Dimitri Russo zur Selbsthilfe.
Bei der Aktion haben nicht nur die Freier ihre Lektion erhalten. Auch für die beiden falschen Prostituierten war der Tag auf der Strasse eine lehrreiche, wenn auch schmerzliche Erfahrung. «Es war härter, als ich dachte», sagte Stefania S. dem «Corriere della Sera». Sie seien als Prostituierte zwar nicht echt gewesen – die Männer, ihre Blicke und ihre Offerten aber sehr wohl. Anastasia P. berichtete, sie habe zu Hause noch Stunden später gezittert: «Ich bin in eine Welt eingetaucht, von der ich meinte, dass ich Bescheid darüber wüsste. Aber es war tausendmal schlimmer.» Wenn man von den Freiern angesprochen werde, dann fühle man sich nicht mehr wie eine Person, sondern «wie ein Stück Fleisch».
Bereut haben die beiden jungen Gemeinderätinnen ihren Einsatz jedoch zu keiner Sekunde, versichert Anastasia P. «Die Überzeugung, das Richtige für einen richtigen Zweck zu tun, war jederzeit stärker als die enorme Verlegenheit, in der wir uns befanden.»