Lohnaufbesserung für die Arbeiter

Schriftstücke aus der Zeit des Kirchenbaus von 1835 waren nicht im Turmknopf der Huttwiler Kirche. Dafür weiss man jetzt mehr darüber, wann die Turmspitze seither renoviert worden ist.

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Solothurner Zeitung

Jürg Rettenmund

Ernst Nyffeler hätte es eigentlich wissen müssen - und hätte so den heutigen Kirchgemeinderäten von Huttwil eine Enttäuschung ersparen können. In seiner «Heimatkunde von Huttwil» schrieb er 1915, im vergoldeten Turmknopf der Kirche seien Dokumente deponiert worden. Diese berichteten über die Bauzeit der Kirche nach dem Städtlibrand von 1834. zu Beispiel über Lebensmittelpreise und Namen der Gemeindangestellten. Auch seien den Dokumenten «allerlei Geldsorten und Münzen beigelegt», schreibt er.

Auf diese Dokumente hofften alle, als am Dienstag der Turmknopf im Rahmen der Kirchturmrenovation heruntergeholt wurde. Nun - eine Kupferbüchse befand sich tatsächlich darin. Allerdings enthielt sie nicht Dokumente von 1834/35, sondern solche aus der Zeit um den Ersten Weltkrieg und insbesondere von 1920.

«Nur vom Pfarrer zu öffnen»

Am Mittwochabend stellte die Kirchgemeinde die Funde in der Kirche vor - ein Anlass, der auf grosses Interesse stiess. Die Büchse enthielt verschiedene Ausgaben des «Unter-Emmentaler», zwei Jahresberichte des Spitals sowie einen der Spar- und Leihkasse (heute Clientis Bank Huttwil). Dazu Verzeichnisse der Behörden von Einwohner- und Kirchgemeinde und der am Bau beteiligten Handwerker, Gemeindereglemente und ein paar Fotos.

Wie stark in den 1920-er Jahre die Erinnerung an die Entbehrungen während des Ersten Weltkrieges noch war, zeigt sich darin, dass auch Lebensmittelkarten aus der Kriegszeit in der Büchse waren, zusammen mit dem Schlussbericht des kantonalen Lebensmittelamtes.

Ausserdem enthielt die Kupferbüchse einen gelben, versiegelten Briefumschlag mit der strickten Anweisung, dass er nur vom Pfarrer geöffnet werden dürfe. Weil beide Ortspfarrer ortsabwesend waren, hatte Kirchgemeinderat Heinz Graf Pfarrer Christian Gerber aus Bleienbach dazu eingeladen. Dieser hat enge Beziehungen zu Huttwil, war er doch dort im Pfarrhaus Uech aufgewachsen.

Gerber öffnete unter den neugierigen Blicken der Anwesenden den Umschlag und entnahm ihm mehrere handbeschriebene und bedruckte Papiere. Ein weiterer Umschlag enthielt verschiedene Münzen, wie sie ebenfalls um 1920 im Umlauf waren.

«Bemerkung» löst das Geheimnis auf

Eine «Bemerkung» am Schluss des Verzeichnisses löst schliesslich auch das Geheimnis um den verschwundenen Inhalt von 1834/35 auf. Sie spricht von der damaligen Enttäuschung beim Herunternehmen des Knopfes: Dieser war nämlich leer. Der damalige Pfarrer Gottfried Buchmüller erinnerte sich jedoch noch an eine Renovation von 1897, bei der der Knopf neu vergoldet worden war - was also, wie eingangs erwähnt, eigentlich auch Chronist Nyffeler hätte wissen müssen. Buchmüller vermutete, dass damals die Bauarbeiter den Inhalt der Büchse an sich genommen hatten, um die Münzen für sich zu behalten.

Deshalb legte er neue Münzen - darunter auch ein Goldvreneli - in seinen Umschlag und bestimmte gleichzeitig: «Damit die Arbeiter, die den ‹goldenen Knopf› heruntergenommen haben, nicht wieder die gleiche Enttäuschung erleben, wie die derzeitigen, (...) so sollen die ‹Batzen› insgesamt denen gehören, die das nächste Mal die gefahrenvolle Arbeit übernehmen, den Knopf herunterzuholen und ihn wieder aufsetzen.» Die «Bemerkung» schliesst mit einem Wunsch des Pfarrers: «(...) dass das Geld nicht in Alkohol umgewandelt wird, sondern eine edlere Verwendung finde. Hoffentlich wird man das in Eurer Zeit als etwas Selbstverständliches betrachten.»

Als die Kirchturmspitze 1956 letztmals renoviert worden war, scheint der Inhalt der Büchse unverändert wieder eingesetzt worden zu sein; mit einer einzigen Ausnahme: Einem handgearbeiteten Taschenmesser von Messerschmied Weyermann, das auf Wunsch seiner Frau beigefügt worden war, wie dem Umschlag entnommen werden kann.

Auch 2009 sollen die früheren Dokumente wieder in den renovierten Turmknopf zurückgelegt werden. Zuvor jedoch macht sich die Kirchgemeinde die heutige Technik zunutze und lässt sie einscanen.