Micro-Car
Lauter «Knutschkugeln» kurven durchs Freiamt

Die Halter von Kleinstfahrzeugen aus ganz Europa treffen sich am Wochenende in Wohlen am grössten Micro-Car-Treffen Europas und lassen die Fünfzigerjahre aufleben. Die so genannten Kabinenroller sind heute gesuchte Schmuckstücke. Früher waren sie das «Arme-Leute-Auto».

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Micro-Car-Treffen
6 Bilder
FIAT 500 Zagato
KROBOTH Allwetterroller
MESSERSCHMITT KR 200
INTER 175A
Knutschkugeln

Micro-Car-Treffen

Aargauer Zeitung

Felix Bingesser

Die Bundesrepublik Deutschland steckt zu Beginn der Fünfzigerjahre noch in den Kinderschuhen. Nach der Wahl Konrad Adenauers 1949 zum ersten Bundeskanzler der BRD beginnt aber in diesen Jahren ein rasanter Aufschwung. Es beginnt ein eigentliches Wirtschaftswunder, in dessen Verlauf das kriegsversehrte Westdeutschland innert weniger Jahre den Lebensstandard wieder auf amerikanisches Niveau bringt. Es ist eine dynamische, eine wilde Zeit. Rock- ’n’-Roller Peter Kraus singt «Sugar Sugar Baby», Deutschland wird in Bern 1954 Fussball-Weltmeister, und offenbar glückliche Hausfrauen lächeln von Plakaten und machen Werbung für Seife und Waschmittel. Es sind goldene Jahre, die Mobilität der Leute nimmt schlagartig zu. Das Auto wird zum Statussymbol. 1948 fuhren die Automobile noch mit Holzvergasern über leere Autobahnen. Aber in den Fünfzigerjahren läuft bald einmal der millionste VW Käfer vom Band und auf den Autobahnen gibt es die ersten Staus.

Ein Auto für jedermann

Aber nicht jeder konnte sich ein «ausgewachsenes Auto» leisten. Lehrlinge, Studenten, aber auch ältere und behinderte Leute hatten trotz Wirtschaftswunder die finanziellen Mittel nicht. Das war die Geburtsstunde der «Kabinenroller», der Micro-Cars, wie sie heute liebevoll genannt werden. So lief beispielsweise 1955 die erste BMW Isetta vom Band. Im Jahr, als in Deutschland gleichzeitig die Lufthansa ihren Flugbetrieb aufnahm und als sechs Jahre vor dem Bau der Mauer die ersten Gastarbeiter ins boomende Westdeutschland strömten.

Das Micro-Car-Treffen

Das Micro-Car-Treffen Schweiz findet seit 1976 alle vier Jahre statt und ist die grösste derartige Veranstaltung in Europa. Vom 30. April bis 2. Mai werden 160 Kleinstfahrzeuge aus ganz Europa auf den Strassen in und um Wohlen AG zu bestaunen sein. Neben Messerschmitt, BMW Isetta und Heinkel werden viele exotische Kleinstfahrzeuge und Einzelstücke teilnehmen, die noch nie in der Schweiz zu sehen waren. Besucher sind herzlich willkommen. Mehr Infos zur Veranstaltung und das detaillierte Festprogramm finden Sie auf www.microcars.ch (MZ)

In diesen goldenen Zeiten hat man die kleinen Kabinenroller noch mit einem Nasenrümpfen registriert. Längst sind die schnuckeligen «Spielzeugautos» aber zu gesuchten Sammlerstücken und liebevoll gepflegten «Sugar-Babys» geworden. Rund 2000 Mark kosteten in den Fünfzigerjahren eine neue BMW Isetta oder ein Messerschmitt. Heute wird ein Mehrfaches dafür hingeblättert. Das war nicht immer so. Als der Aargauer Unternehmer Bernhard Täschler in der Migros einkaufen ging, da war am Anschlagbrett ein 14-jähriger Messerschmitt zum Verkauf ausgeschrieben. «Er kostete so viel wie vier Harassen Bier», erinnert sich Täschler. Er wurde damals mit dem Micro-Car-Virus infiziert. Und alsbald wurde die Region Freiamt zu einer Hochburg für die Freunde dieser Kleinstfahrzeuge. Viele davon wurden in Scheunen und Kellern und Hinterhofgaragen entdeckt, vor dem Schrottplatz gerettet und liebevoll restauriert.

Autogeschichte erleben

Mittlerweile findet im aargauischen Wohlen am Wochenende das neunte Micro-Car-Treffen statt. Es bietet einen noch nie erreichten Querschnitt durch die Geschichte dieser Kleinstwagen. Aus ganz Europa kommen die Nostalgiker mit ihren Gefährten nach Wohlen, dem Zentrum der Schweizer Micro-Car-Szene. Die Teilnehmerzahl musste auf 160 Fahrzeuge limitiert werden.
Mit dabei ist neben Bernhard Täschler auch der 88-jährige Garagist Erwin Dubler. Der Mann, der 1939 seinen Führerschein gemacht hat und mittlerweile mit unzähligen Autos 1,5 Millionen unfallfreie Kilometer zurückgelegt hat, ist auch ein Freund der Kleinstfahrzeuge. Er durfte vor kurzem das Jubiläum «70 Jahre Führerschein» feiern und ihm wird von Walter Frey für dieses Treffen ein Kleinstwagen aus der Anfangszeit von Subaru zur Verfügung gestellt. Damit wird er auch am GP Mutschellen mitfahren. Dort werden die Micro-Cars am Sonntag ihren grossen Auftritt haben. Wer die Fünfzigerjahre nochmals spüren will, wer einen Teil automobiler Geschichte nochmals hautnah erleben will, der ist aber am ganzen Wochenende in Wohlen gut aufgehoben.