Der Archäologe und Prähistoriker Christoph Lötscher forscht gerne in der Vergangenheit. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kantonsarchäologie sondiert er am Inkwilersee die Klimageschichte und erhofft sich dadurch mehr über die ersten Siedler herauszufinden.
Astrid Bucher
Auf seinem Kopf träg er ein rotes Che-Guevara-Tuch: Christoph Lötscher gleicht einem Pirat, der sich fürs nächste Abenteuer rüstet. Der Archäologe aus Bern steht am Ufer des Inkwilersees: «Holst du schon mal das Boot», weist er seinen Mitarbeiter Rudolf Maurer an, der sogleich zu Fuss loszieht. Zehn Minuten später rudert Maurer mit einem Fischerboot ans Ufer. Einen Generator, eine Bohrmaschine, Trinkwasser und allerlei Forschungsmaterial werden aufgeladen.
Sowohl der Inkwilersee, als auch der benachbarte Burgäschisee, gehören je zur Hälfte zu den Kantonen Bern und Solothurn. «Das erschwert die Arbeit etwas, weil sich die Anzahl der betroffenen Ämter dadurch verdoppelt», sagt Lötscher. Bei diesem Projekt arbeitet der wissenschaftliche Mitarbeiter vom Solothurnische Amt für Denkmalpflege und Archäologie sinnigerweise mit zwei Botanik-Doktoranden der Universität Bern zusammen.
Informationen aus den Pollen
Seit 1854 ist bekannt, dass auf der Insel Pfahlbauer gelebt haben. Die gefundene Keramik kann in die Jungstein- (um 4000 v. Chr.) und die Spätbronzezeit (um 1000 v. Chr.) datiert werden. Als sich die Jäger- und Sammlerkulturen damals zu sesshaften Bauern entwickelten, hätten sie sich wohl auch am Inkwilersee niedergelassen, hielten Tiere und pflanzten Getreide an. «Durch die Auswertung der Daten, sollten wir bestimmen können, wann die Landwirtschaft am See Einzug hielt», sagt Lötscher. «Wir untersuchen die Sedimente auch nach Getreidepollen. So können wir bestimmen, was die Bauern von damals angepflanzt haben.»
Erforscht ist der Inkwilersee noch längst nicht. «Berner Taucharchäologen haben 2007 Pfähle und Gefässe aus verschiedenen Epochen gefunden», bestätigt Lötscher. Nebst spätbronzezeitlicher Keramik ist man auch auf ein 47,7 Zentimeter langes Holzschwert aus Nadelholz gestossen. Dieses ist ins 11. Jahrhundert v. Chr. zu datieren. Die ganze Insel ist wegen der Pfahlbauten unter Schutz gestellt worden.
Die beiden Botanik-Doktoranden und der Archäologe widmen sich an diesem Julimorgen der Pollenforschung. «An verschiedenen Stellen machen wir Sondierbohrungen bis in die untersten Sedimente, um die Klimageschichte zu rekonstruieren», erklärt Lötscher. Es handelt sich um ein Projekt der Universität Bern das auch von der Kantonsarchäologie Solothurn unterstützt wird. Im Gegenzug werden für die Kantonsarchäologie, im Bereich der gefährdeten Fundstelle, Bohrungen durchgeführt welche Erkenntnisse über das Alter und die exakte Tiefe der Seeablagerungen geben sollten. Die Durchführung solcher Bohrungen muss von Spezialisten mit eigens dafür entwickelter Ausrüstung erfolgen, über welche die Universität Bern verfügt. Lötscher ist überzeugt, dass im Inkwilersee noch mehr als die bereits geborgenen Zeitzeugen schlummern. «Im Wasser werden Funde aus organischem Material (Holz, Geweih, Textilien) gut konserviert: Sogenannte Seeufersiedlungen sind meist sehr gut erhalten, wenn man sie ausgräbt», weiss er. Als Arbeitsplatz dient den Forschern eine Plattform mitten im See, die auf zwei aufblasbaren Kanus montiert ist. «Wir wissen noch nicht sehr viel über den Inkwilersee.»
Warum werden die archäologischen Schätze am Inkwilersee nicht einfach ausgegraben? Christoph Lötscher verweisst darauf, dass Grabungen in Seeufersiedlungen äusserst Zeit- und Kostenintensiv sind. «Das gefundene organische Material muss in einem aufwändigen Verfahren konserviert werden», erklärt er. Kantonsarchäologien funktionieren ähnlich wie die Feuerwehr. «Nur wo es brennt, das heisst, wo eine archäologische Zone durch Bauarbeiten zerstört wird können wir eingreifen», so Lötscher. «Eine schleichende Zerstörung, wie sie wahrscheinlich an unseren Seen infolge Trockenlegungen, Erosion und Überdüngung stattfindet, gleicht einem Glimmbrand», zeigt Lötscher ein Problem auf. «Dieser kann oft erst bekämpft wenn er ausbricht. Danach ist es meist zu spät, um noch etwas zu retten ...» (abs)
Dem See droht die Verlandung
Ohne baldige Massnahmen wird der Inkwilersee allmählich vom Ufer her zuwachsen und in 100 bis 150 Jahren verlandet sein. Seit geraumer Zeit beschäftigt sich das Solothurner Amt für Umwelt (AfU), unter der Leitung von Daniel Schrag, mit dem Problem. Einer der Gründe ist die intensive Landwirtschaft rund um den See. Zwei Bäche und mehrere Drainageleitungen münden in den See. Das Wasser wird dadurch regelrecht überdüngt und wichtige Nährstoffe für die Pflanzen gehen verloren. Das Seewasser hat aber natürlicherweise schon sehr viele Nährstoffe und trägt so zur Überdüngung bei.
Anwohner, Fischer und Naturschützer haben sich für Massnahmen gegen die Verlandung des Inkwilersees ausgesprochen. Im Herbst startet das AfU einen Versuch, um mit einer Absaugvorrichtung Schlamm aus dem See zu nehmen. «Die archäologischen Funde sind gefährdet, darum begleiten wir diesen Versuch», erklärt Lötscher. Durch die sanfte Methode des Schlamm-Absaugens sollten die Funde nicht beschädigt werden. Lötscher betrachtet auch die Überdüngung als schädlich und befürchtet, wenn gar nichts unternommen werde, sei es bald zu spät, um die Vergangenheit zu rekonstruieren. «Wenn dieses Archiv, das im See schlummert, zerstört wird, geht enormes Wissen verloren», sagt er nachdenklich.
Parallelen zum Burgäschisee
Als Mitarbeiter der Kantonsarchäologie war Lötscher vielerorts mit Grabungen beschäftigt. Am Burgäschisee beteiligte er sich an der Auswertung von Seeufersiedlungen. Bereits 1943 haben Archäologen in der Nähe des Strandbads Überreste von Pfahlbauten aus der Jungsteinzeit gefunden. Am Ufer fand man hunderte von Holzpfählen eines jungsteinzeitlichen Dorfes mit Palisade, welches um 3830 v. Chr. errichtet wurde. Die Solothurner Archäologen fanden Reste von Kochgeschirr, Waffen und Werkzeuge. Einige der Funde sind im archäologischen Museum in Olten ausgestellt.
Es sei spannend in der Vergangenheit zu graben. Die Archäologie faszinierte den heute 43-jährigen Lötscher bereits während des Studiums: «Als Geschichtsstudent haben mir die Teamarbeiten und Exkursionen bei den Ur- und Frühgeschichtlern einfach mehr zugesagt, als mich als Historiker in einem verstaubten Archiv zu beschäftigen. Diese Arbeit ist abwechslungsreich und besteht nebst der Büroarbeit auch in Feldarbeit mit teilweise starkem körperlichem Einsatz.»