Junge Witwe um halbe Rente betrogen

INCA-Vertrauensmann soll über 100 Italienerinnen und Italiener um ihre Pensionskassengelder erleichtert haben.

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von Dieter Minder

Bei einem Verkehrsunfall hat eine junge Frau aus der Region Baden ihren Mann verloren, ihre beiden Mädchen den Vater. Wegen der «Beratung» durch Antonio Giaccetta, den ehemaligen Leiter der Beratungsstelle Patronato INCA in Baden und Zürich, fehlt ihnen nun auch noch ein Teil der Rente.

Patronato INCA

In allen Ländern, in denen Italiener als Arbeitnehmer tätig sind oder leben, bestehen so genannte Patronati. Sie wurden meist nach dem Zweiten Weltkrieg als Beratungsstellen aufgebaut. Entstanden im Umkreis der italienischen Gewerkschaften, gibt es auch in der Schweiz mehrere Patronati. Sie stehen unter Aufsicht des italienischen Arbeitsministeriums. Dessen Kontrolleure haben die Unregelmässigkeiten beim Patronato INCA festgestellt. Für die Italiener sind die Patronati sehr wichtige Anlaufstellen bei Renten- und Finanzfragen, sie geniessen, wie auch die meisten jetzt Geschädigten bestätigen, grosses Vertrauen. Das Patronato INCA in der Schweiz ist ein Verein.

Sie solle sich an das INCA wenden, riet eine Kirchenmitarbeiterin der Witwe nach einem Gedenkgottesdienst für den Verstorbenen. Die Frau aus einem Anrainerstaat des Mittelmeers war froh über die Hilfe. Die Beratungen waren erfolgreich, die Witwe unterzeichnete eine Vollmacht, und sie erhielt regelmässig eine Rente, alles schien in Ordnung zu sein. Misstrauisch wurde sie im Frühling, als das Geld ausblieb. Schon nach einigen Telefonaten erkannte sie, dass etwas nicht stimmen konnte, und sie wandte sich an den Badener Anwalt Hans Schibli.

«Ich habe festgestellt, dass das Versicherungskapital Ende September 2008 aufgrund der Vollmacht von der Versicherung auf das Konto einer Bank im Aargau überwiesen wurde», sagt Schibli. Er ist daran, abzuklären, ob es sich dabei um ein Unternehmenskonto der INCA oder ein Privatkonto handelt. Um eine genaue Auskunft zu erhalten, müsste der Kontoinhaber die Bank von der Schweigepflicht entbinden. Bisher habe er keine Einsicht in die Akten erhalten, sagt Schibli und betont: «Das ist ein typischer Fall, wo sich das Bankgeheimnis mit einer Missetat verbindet.» Schibli geht es nun vor allem darum, das Geld zu finden, damit seine Mandantin wieder zu ihrer regulären Rente kommt. «Es stellt sich aber auch die Frage der seriösen Beratung durch das INCA», führt er weiter aus. Es sei unsinnig, wenn eine junge Witwe das Versicherungskapital zurückziehe: «Sie muss auf jeden Fall die Rente wählen, weil sie auf diese Weise besser abgesichert ist.» Ob die Vollmacht, mit der das Geld ausgelöst wurde, echt war, muss ebenfalls noch geklärt werden: «Meine Mandantin hat Giaccetta nur eine Vollmacht ausgestellt, aber anscheinend waren mehrere im Umlauf.»

Die Witwe ist nicht die einzige Person, der nach Beratungen durch den Leiter des INCA Kapital abhandengekommen ist. Nachdem die italienischen Inspektoren die Unregelmässigkeiten festgestellt hatten, beendete das Patronato INCA das Arbeitsverhältnis. Hanno Wieser, Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, hat etwa hundert Fragebogen an mutmasslich Geschädigte versandt. Ob es noch mehr sind, werden die Untersuchungen zeigen.