Jörg Meiers tägliche «Meiereien» sind ab sofort auch in Buchform erhältlich. Kolumnist Jörg Meier erzählt von den Reaktionen auf die «Meiereien» und lüftet Polderhorns Geheimnis.
Katja Schlegel
Jörg Meier, ergänzen Sie folgenden Satz: Die «Meiereien» sind. . .
Meier: ... Geschichten, die ich den Leserinnen und Lesern jeden Tag erzähle. Sie haben einen aktuellen Bezug, spielen im Aargau oder sonstwo auf der Welt, sie nehmen oft eine überraschende Wendung und sind meistens wahr.
Peter Bichsel hat gesagt: «Kolumnen sind die Geschichten, die man nicht geschrieben hätte, wenn man sie nicht hätte schreiben müssen.»
Meier: Da hat er wohl recht. Ich bin dankbar, dass ich das Privileg habe und gleichzeitig dazu verdammt bin, jeden Tag eine Geschichte zu schreiben. Und wenn ich diese Geschichten aus Gründen der Existenzsicherung nicht schreiben müsste, würden sie wohl auch nicht entstehen. Aber wenn sie dann da sind, denke ich oft: Zum Glück darf ich müssen.
Wie ist es, täglich eine Kolumne schreiben zu müssen?
Meier: Ich hatte zu Beginn riesigen Respekt vor dieser Aufgabe. Ich fragte mich: Gelingt mir jeden Tag eine Kolumne, die ich den Lesern zumuten kann? Ich habe auch versucht, für den Notfall eine Reserve von einigen Kolumnen anzulegen. Aber das hat nicht funktioniert. Respekt habe ich immer noch, aber auch Vertrauen. Vertrauen, dass das Leben so vielfältig und überraschend ist, dass ich jeden Tag eine Geschichte finde, die ich erzählen möchte.
Wie finden Sie Themen?
Meier: Ich weiss es nicht genau. Manchmal finden mich die Themen, ohne dass ich suche. Und sonst versuche ich, wach zu sein: Was passiert? Was interessiert mich? Was beschäftigt die Menschen im Aargau? Was fällt mir zu einem Ereignis, zu einem Menschen ein? Wie wird daraus eine Geschichte? Oft dauert das Suchen dann länger als das Schreiben.
Sie lassen in den Geschichten viel Interpretationsspielraum.
Meier: Jede Leserin und jeder Leser macht mit dem Text, was sie oder er will. Darauf habe ich ohnehin keinen Einfluss. Überdies möchte ich Geschichten erzählen und nicht belehren. Ich weiss nie, was ankommt, was funktioniert. Zum Glück.
Trifft Sie das, wenn die Leser Sie deswegen falsch verstehen?
Meier: Ich habe gelernt, dass Ironie meistens nicht verstanden wird. Aber soll ich deshalb auf sie verzichten? Auf die Meiereien reagieren zahlreiche Leser. Vor allem dann, wenn sie nicht einverstanden sind, gar wütend werden. Ich respektiere das, es ist ihr gutes Recht.
Und die anderen Reaktionen?
Meier: Seit ich Journalist bin, hatte ich noch nie so regen und so nahen Kontakt mit den Leserinnen und Lesern wie durch die «Meiereien». Nach der Kolumne über General Guisan haben mir beispielsweise sicher ein Dutzend Menschen geschrieben oder telefoniert und mir ihre eigene Guisan-Geschichte erzählt. Im Übrigen gilt als Faustregel: Frauen rühmen und bedanken sich, Männer mäkeln und korrigieren.
Wie gut kennen Sie Ihre Leser?
Meier: Ich weiss, dass ich fast nichts über den Leser weiss und dass es sein ureigenstes Privileg ist, aus einem Text das zu lesen, was er will.
Ein Kolumnist darf die Regeln für seine Kolumne selber aufstellen. Welche Regeln gelten für Sie?
Meier: Die Meiereien sind 1650 Zeichen lang. Nicht mehr und nicht weniger.
Wie haben Sie sich verändert, seit sie die Meiereien schreiben?
Meier: Ich bin viel wacher, aufmerksamer und bewusster.
Was ist der Unterschied zwischen Autor sein und Journalist?
Meier: Als Journalist muss ich das machen, was der Tag verlangt. Als Autor darf ich das machen, was der Tag an Chancen birgt.
Sind Sie Journalist geworden, um Autor zu sein?
Meier: Ich habe relativ schnell gemerkt: Ich möchte von Sprache und dem Schreiben leben, weil ich sonst nicht viel anderes kann. Also bin ich Journalist geworden. Ich war es immer gerne, geniesse es aber jetzt sehr, als Autor arbeiten zu können.
Wie wurden die Kolumnen für das Buch ausgewählt?
Meier: Ich habe versucht, von allem etwas zu bringen: Geschichten, die mir gefallen, und solche, die die Leser gut fanden. Das ist ja oft nicht das Gleiche. Zudem haben einige Stammleser ihre Vorschläge eingebracht. Entstanden ist so, wie ich hoffe, ein guter Querschnitt.
Heute ist Welttag des Buches. Ihr Buchtipp für unsere Leserinnen und Leser?
Meier: «Das Recht auf Memoiren» von Max Rüdlinger. Ein witziges, kluges und schräges Buch über die unerträgliche Heiterkeit des Scheiterns.
Eine Frage zum Schluss: Wer ist dieser Polderhorn, der da immer wieder in den «Meiereien» auftaucht?
Meier: Polderhorn ist eine Kunstfigur, mein Alter Ego. Er ist grundsätzlich unkorrekt. Er kann sagen, was ich als Autor nie sagen dürfte. Polderhorn ist aber auch eine Spiegelung des Lesers, spricht aus, was dieser vielleicht denkt. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind dabei rein zufällig, aber unvermeidlich.
Buchvernissage «Als Johnny Cash nach Wohlen kam»: Sonntag, 25. April, 11 Uhr, Sternensaal Wohlen. Eintritt frei. Mit Philipp Galizia, Werner De Schepper und Jörg Meier.