Humor sei für ihn bis heute eine Überlebenshilfe, sagt Heinz Lüthi. Der Kabarettist und langjährige Lehrer in Weiningen blickt zurück auf die «Rotstift»-Zeiten, beschreibt die Liebe zur Kleinkunst und beleuchtet seine publizistische Arbeit.
Interview Sibylle Saxer
Herr Lüthi, was ist für Sie Humor?
Heinz Lüthi: Humor bedeutet für mich sehr viel, letztlich auch: Unerträgliches erträglich zu machen. Ich möchte dabei unterscheiden: Humor kommt vom Herzen, Witz vom Verstand. Gottfried Keller hatte beides, Karl Kraus hingegen nur Witz, aber einen messerscharfen und sarkastischen. Humorlose Menschen schätze ich gar nicht, denn sie können ihr eigenes Ich nicht relativieren, können niemals über sich selbst lachen und entwickeln womöglich ein Sendungsbewusstsein.
Was bedeutet Humor in der heutigen Zeit?
Lüthi: Eine Gegenfrage: Wie erträgt man ohne Humor einen Ratzinger, einen Steinbrück, einen King Kong - oder wie dieser Nordkoreaner auch immer heisst? Deshalb ist Humor lebensnotwendig und stutzt Unerträgliches auf ein vernünftiges Mass. Der gute Kabarettist leistet genau diese Verkleinerungen mit den Mitteln des Humors.
Sie haben als Mitglied des Cabarets Rotstift Generationen zum Lachen gebracht, sind sozusagen ein Lacher der Nation. Welche Berufsbezeichnung wählen Sie für sich selber?
Lüthi: Wenn ich in einem Hotel einchecke, schreibe ich immer Gastrokritiker - das ist die Garantie dafür, gut bedient zu werden. Heute bin ich Publizist, hauptberuflich war ich aber lange Lehrer. Wie Werni von Aesch und Fredy Lienhard habe ich das Evangelische Lehrerseminar Unterstrass besucht. Das Semi Unterstrass hat drei Kabarettisten hervorgebracht. Dort hat mir zwar der Deutschlehrer den Floh ins Ohr gesetzt, in mir stecke ein Schauspieler. Ich habe später auch tatsächlich eine Schauspielschule besucht. Aber nebenher.
War da nicht ein Widerspruch zwischen Ihrer Tätigkeit als Lehrer und als Schauspielschüler respektive Kabarettist?
Lüthi: Ich habe meinen Beruf sehr gern ausgeübt. Denn er ist vielfältig: Volkskunde fliesst genauso ein wie Flora und Fauna, Geschichte, Kunst und Musik. Das alles interessiert mich. Das sind auch Themen, die in meiner jetzigen publizistischen Tätigkeit einen wichtigen Stellenwert einnehmen, besonders in meinen lokalhistorischen Büchern wie der «Limmattaler Chronik».
Und die Kleinkunst?
Lüthi: Das war eine wunderbare Ergänzung, die ich brauchte. Denn ich stelle mich gern einem Markt, packe gerne etwas an, führe gern etwas durch. Und eigentlichen Erfolg kennt man als Lehrer nicht. Das ist in der Welt der Kleinkunst anders: Man sitzt zusammen, entwickelt Ideen, arbeitet sie aus und hat am Schluss ein Produkt. Und die Kasse stimmt auch noch. Aber die Familie davon ernähren, das wäre nicht gegangen.
Heinz Lüthi (Jg. 1941), aufgewachsen im Seefeld, lebte und arbeitete während 40 Jahren im Limmattal. Seit sechs Jahren wohnt er in Richterswil. Er unterrichtete an der Primarschule Weiningen und war Mitglied des Cabarets Rotstift. Daneben schrieb er nebst lokalhistorischen Publikationen auch zahlreiche Bücher humoristischer und belletristischer Art. Neu steht sein «Literarisches Kursbuch Zürichsee» in den Buchläden. Die mit Fotografien der jeweiligen Schiffsstationen bebilderte Textsammlung umfasst Texte von Autoren, die sich der Zürichseeregion schreibend annäherten. Bekannte wie Meinrad Lienert oder Robert Walser sind genauso vertreten wie weniger bekannte, etwa Diethelm Fretz von Zollikon. «Es handelt sich um ein Kaleidoskop vom See, das vom 17. bis ins 20. Jahrhundert reicht», so Lüthi, der bei den Recherchen verschiedene Trouvaillen machte. «Dass ich den Zürich-Text von Albin Zollinger entdeckt habe, hat mich besonders gefreut.» (sis)
Literarisches Kursbuch Zürichsee,
hg. v. Heinz Lüthi. Th. Gut Verlag, Stäfa 2009; 269 Seiten, 24 Franken.
Vor dem Kabarett stand aber erstmal die klassische Schauspielausbildung. . .
Lüthi: . . . ich war Anfang 20 und bereits Lehrer, da hat sich der von meinem Deutschlehrer gesetzte Floh wieder zurückgemeldet. Ich habe auch die Aufnahmeprüfung ans Bühnenstudio bestanden und später die Abschlussprüfung. Den «Egmont» musste ich vor der Prüfungskommission vorsprechen. Das ging ordentlich, dennoch hat Felix Rellstab, Leiter des Bühnenstudios, mich beiseite genommen und gemeint, für mehr als Domestiken- und Wasserträgerrollen würde es bei mir nicht reichen. Aber ich hätte eine spezielle humoristische Begabung.
Und so sind Sie zum Kabarett gekommen?
Lüthi: Nein, ich war beleidigt! Ich wollte doch mit meiner Schauspielkunst an den Säulen der abendländischen Kultur rütteln (lacht)! Aber mit den ersten Gehversuchen in der Kleinkunst merkte ich am eigenen Leib, dass ich auf der Bühne jene Sprache brauchen muss, die ich auch im Alltag spreche: Dialekt.
Warum Mundart?
Lüthi: Schweizerdeutsch ist viel kürzer und prägnanter als Schriftsprache. Mit dem Cabaret Rotstift hatten wir die Nummer «Me sött». «Man sollte» klingt doch einfach weniger gut. Ein einziges Mal haben wir versucht, eine unserer Nummern auf Hochdeutsch zu übersetzen. Das war ein totaler Reinfall - es blieb beim einmaligen Versuch.
Wie fanden Sie den Weg zum Cabaret Rotstift?
Lüthi: Via Lehrer-Tschuti-Klub. Dort lernte ich Werni von Aesch und Jürg Randegger kennen. 1977 stiess ich dazu.
Woher nahmen Sie die Ideen für die Nummern?
Lüthi: Ich persönlich hatte einen Zettelkasten, dort notierte ich meine Ideen. Diese hatten wir meist in Alltagssituationen. Einmal fuhren wir beispielsweise zu dritt durch den Lötschberg und fragten uns, wie das sei, tagaus, tagein durch dieses Loch zu fahren. Daraus ist die Nummer «De Buebetraum» entstanden.
Seit 2002 gibt es das Cabaret Rotstift nicht mehr. Fehlt es Ihnen?
Lüthi: Nein. Wir hatten eine sehr gute, intensive Zeit, aber ich vermisse sie nicht. Wir wurden langsam älter. Das Älterwerden eines Schauspielers geht in vier Phasen vor sich: Der Schauspieler wird sich selber bewusst, dass er nicht mehr auf der Höhe ist, in der Phase zwei merken es seine Kollegen, in der Phase drei die Zuschauer, und in Phase vier merkt es der Schauspieler selber nicht mehr. Wir haben es geschafft, in Anstand aufzuhören - sagen wir in Phase zwei. Und heute mache ich viele eigene Lesungen, die für mich wie Bühnenauftritte sind.
Was hat das Besondere des Cabarets Rotstift ausgemacht?
Lüthi: Ich hatte eine Tante, die hat mir nach einem Auftritt einmal gesagt: «Ihr spielt euch selber.» Damit hat sie etwas Wesentliches erfasst. Wir brauchten nie einen Regisseur, wir brachten alle Ideen und Texte ein.
Haben Sie selber eine Lieblingsnummer? Nach Werner von Aeschs Tod im letzten Jahr war häufig Der «Skilift» am Fernsehen zu sehen.
Lüthi: Die sicher nicht. Das Strickmuster ist mir da zu einfach. Eher «Die Zähtuusigscht».
Warum gerade die?
Lüthi: Sie ist sehr einfach, die drei Sätze «Jetzt langeds mer dänn», «Nei, nimms nöd so tragisch» und «Wäge dem gaht doch d Wält nöd under» reichen für eine ganze Nummer. Und wir nehmen uns selbst hoch, das gefällt mir.