Hat «Ämtlijägerin» Beerli Zeit für Schweinegrippe?
Hat «Ämtlijägerin» Beerli genug Zeit für Schweinegrippe?

Swissmedic-Präsidentin Christine Beerli steht wegen der Schweinegrippe-Impfung von neuem in der Kritik.

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Keystone

Beat Rechsteiner

Die Chefin geht auf Tauchstation und schiebt den Mediensprecher vor. Christine Beerli, Präsidentin von Swissmedic, liess gestern über ihre Sekretärin ausrichten, sie wolle keine Stellung beziehen zu all den kritischen Fragen rund um die Schweinegrippe-Impfung. Also musste Behörden-Sprecher Joachim Gross hinstehen - und sich entschuldigen. Er habe der Präsidentin eine falsche Aussage in den Mund gelegt, weil er sich mit den Daten vertan habe, sagte er auf Anfrage.

Beerli hatte in einem Interview behauptet, die Pharmafirma Glaxo-Smith-Kline habe bei der EU schon im Mai die Zulassung ihres Impfstoffs Pandemrix beantragt, in der Schweiz aber erst im August. Das sei der Grund für die Verspätung. Recherchen dieser Zeitung entlarvten die Behauptung als falsch (siehe Samstagsausgabe). Am Wochenende gab Beerli zwar weitere Interviews, war sich dabei aber keiner Schuld bewusst.

Fortschritte - und anhaltende Kritik

Bemerkenswert ist, wie wenig erstaunt manch ehemaliger Weggefährte aus der Politik über die Panne ist. Einem langjährigen bürgerlichen Ständerat, der nicht namentlich genannt sein will, entfährt es spontan: «Mal wieder sind alle anderen schuld.»Christine Beerli, 56, ehemalige Berner Ständerätin und bei der Wahl von Hans-Rudolf Merz vor sechs Jahren unterlegene freisinnige Bundesratskandidatin, leitet seit Anfang 2006 den Institutsrat des Heilmittelinstituts Swissmedic. Ein schwieriger Job, gewiss. Geprägt von tiefgreifenden Umstrukturierungen, bei denen kaum ein Stein auf dem anderen blieb. Und nach drei Jahren gibt es von Gesundheitspolitikern und aus der Pharmaindustrie durchaus Anerkennung für die Behörde. Sie sei, so heisst es, operativ besser geworden. Ein Lob vor allem für Amtsdirektor Jürg Schnetzer.

Die Kritik an der Leiterin des Institutsrats jedoch, die ebbt nicht ab. Am deutlichsten sagt es SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi: «Beerli an der Swissmedic-Spitze - das ist ein typischer Fall von Fehlbesetzung. Sie sollte nicht Chefin sein, denn sie selbst brauchte einen guten Chef.»

CVP-Nationalrätin Ruth Humbel ortet bei der Zulassungsbehörde Defizite im politisch-strategischen Bereich. Ausgerechnet dort also, wo Beerli das Zepter schwingt. Andere sprechen davon, dass Swissmedic in der Kommunikation unkoordiniert sei. Und immer wieder taucht die gleiche Frage auf, wie sie auch Humbel stellt: «Hat die Präsidentin nebst ihren anderen Verpflichtungen überhaupt genug Zeit für ihr Amt?»

Beerli ist neben ihrem Engagement bei Swissmedic Vizepräsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Genf und präsidiert die Solothurner Filmtage. Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» bezeichnete sie ein ehemaliger Berner Politiker einst als «Ämtlijägerin und Vorzeigedame». Früher war die Bielerin neben ihrem Hauptberuf als Fachhochschuldirektorin teilweise zeitgleich Verwaltungsrätin der damaligen Rentenanstalt, der Seeland-Bank, Ständerätin und Fraktionschefin der FDP im Bundesparlament.

Schlechte Bilanz bei Pro Juventute

Und von 1998 bis 2008 stand sie an der Spitze des Kinder- und Jugendhilfswerks Pro Juventute. Gewohnt ist sie es spätestens seit damals auch, im Hagel der Kritik zu stehen. In ihrer Amtszeit schmolz das Stiftungsvermögen von 50 auf 15 Millionen Franken zusammen. Sie fuhr Jahr für Jahr millionenschwere Defizite ein, sodass ihre Nachfolger im vergangenen Frühling das Ende der Organisation prophezeiten, sollte ihnen nicht innerhalb eines Jahres der Turnaround gelingen.
Diese Bilanz bleibt an Beerli hängen. Nicht umsonst fragt sich ein ehemaliger Ratskollege aus der kleinen Kammer: «Mir ist noch immer ein Rätsel, wie Christine Beerli als Fachfremde überhaupt zu diesem Job bei Swissmedic gekommen ist.»