Peter Rothenbühler war in seiner Karriere Chefredaktor vieler Zeitungen. In seiner neusten Kolumne schreibt er über den Negativismus, mit dem Zeitungen der Leserschaft den Tag verderben. Sind nur bad news good news?
Haben Sie schon von diesem neuen Trend gehört, der vor allem in Holland und den nordischen Ländern langsam Fuss fasst und «Konstruktiver Journalismus» heisst?
Eine sehr gute Sache, weil die Erfinder dieses Begriffs davon ausgehen, dass es einen wichtigen, aber völlig vernachlässigten Grund gibt, weshalb immer weniger Menschen Zeitungen kaufen und lesen. Alle sagen, es sei wegen den Gratismedien, wegen des Internets, des zunehmenden Illettrismus und so weiter.
Der vergessene Grund heisst: Zeitungen deprimieren.
Wenn ich mich im Café du Commerce umhöre, sagen mir die Menschen: Ich ertrage die Medien nicht mehr, weil sie mich deprimieren und das schon frühmorgens.
Die Zeitung sagt mir: Guten Morgen, die Welt ist schlecht. Nur schlechte Nachrichten. Nur schlechte Menschen, nur Verbrechen, Hiobsbotschaften, Krach und Krieg, Mord und Totschlag.
Und dann diese Übertreibung: Jede Banalität wird zum Skandal, zur Katastrophe, zum Konflikt raufstilisiert, jeden Tag warnt man uns vor neuen Krankheiten, neuen Gefahren.
Und wenns um Politik geht, lässt man immer nur gegensätzliche Meinungen aufeinanderprallen. Diese bittere Klage gegen die Medien endet dann meist mit der Feststellung: Ich kann sehr gut ohne Nachrichten auskommen, die mir nur den Tag verderben.
Jetzt kann man sich natürlich fragen, ob diese Menschen einfach die Augen verschliessen wollen vor einer Welt, die tatsächlich aus den Fugen geraten ist, nur noch Krieg, Krisen, Terrorismus und Verbrechen kennt.
Oder ob vielleicht tatsächlich die Medien die Realität etwas einseitig abbilden, weil sie täglich nach dem alten Journalisten-Leitsatz leben: Züge, die rechtzeitig abfahren, sind keine News, nur Züge mit Verspätung oder Züge, die entgleisen sind News. Oder: Only bad news are good news.
Ich denke, dass tatsächlich die Medien insgesamt ein völlig verzerrtes Bild von der Wirklichkeit geben und die Journalisten fast überall an Negativismus, an galoppierendem Argwohn und notorischer Aggression leiden.
Und ich weiss, dass in den Zügen, die rechtzeitig abfahren, mehr Menschen unterwegs sind als in den andern.
Ein konstruktiver, empathischer, versöhnlicher oder gar belobigender Journalist ist verdächtig – vor allem bei den andern Journalisten.
Das erlebt man als Journalist jedes Mal, wenn man eine positive Geschichte über eine gelungene Sache oder eine erfolgreiche Persönlichkeit publiziert.
Da heisst es sofort: warum so unkritisch? So blauäugig? Hat er dich gekauft? Hämmert man allerdings auf einem Politiker oder Wirtschaftsführer herum, ist einem der Applaus der Kollegen sicher, keiner kommt und fragte, hast Du nicht bedacht, dass dies alles ja auch andersrum betrachtet werden könnte.
Gegen diesen dauernden Negativismus wollen die Anhänger des Konstruktiven Journalismus angehen. Aber nicht einfach, indem sie den Zeitungen empfehlen, täglich auch eine schöne, liebe «Jöööh»- Geschichte über eine Tiergeburt oder eine Parkeinweihung zu bringen, sondern sie empfehlen, alle Storys mit einer anderen Einstellung anzugehen: Statt die Leser dauernd zu warnen, zu alarmieren, ihnen Angst zu machen, sollten wir auch bei gravierenden Ereignissen einen lösungsorientierten, optimistischen Ansatz privilegieren und vor allem auf hysterische Titel verzichten.
Bei Interviews mit Politikern zwar auch kritische Fragen zu Misserfolg, Krisen, Konflikten stellen, aber auch fragen, was eigentlich gut läuft, und vielleicht sogar, was sie an den Ideen und Lösungsvorschlägen des politischen Gegners gut finden.
Es ist offensichtlich: Ein Zuviel an negativen Meldungen deprimiert viele Menschen, macht sie hilflos und passiv. Entpolitisiert sie.
Medien, die den Menschen aufzeigen, dass es Lösungen gibt, dass vorbildliche, gute Menschen wichtiger sind als Betrüger, Terroristen und schlechte Manager, helfen die Menschen zu mobilisieren, zu aktivieren, eine bessere Idee zu haben von der Welt, auf der wir leben.
Es muss nicht jede Zeitung von heute auf morgen nur noch blühende Felder auf der ersten Seite zeigen. Aber ein grosser österreichischer Verleger hat schon vor Jahren seinen Leuten vorgeschrieben, wenigstens am Samstag auf der ersten Seite eine sehr positive Meldung gross aufzumachen. Es hat den Verkauf gefördert. Auch good news sind good news.
*Der Autor, Journalist und Editorial Designer war Chefredaktor von «SonntagsBlick», «Schweizer Illustrierte» und «Le Matin». Er lebt in Lausanne und Paris.