Ein Solothurner Meditationstrainer soll während Jahren «Schülerinnen» sexuell missbraucht haben – darunter zwei minderjährige Mädchen. Das Obergericht entscheidet über die Appellation.
Samuel Misteli
Die Welt des M. H. ist in erster Linie eine spirituelle und dabei so schwer fassbar wie Luft. Der 56-Jährige ist je nach Standpunkt Meditationstrainer, Lehrer, Naturarzt, Heiler, Meister, Guru, geistiger Führer, höheres Wesen, Bodhisattva - oder auch alles in Personalunion. Dessen Anwalt beschreibt die Gruppe, die sich jeweils in Meditationsseminaren um H. schart, als «spirituelle Gemeinschaft von Gesinnungsgenossen».
Einst waren es an die 150, die überwiegende Mehrheit davon Frauen. Was in der Geistesschule von M. H. abläuft, können auch Eingeweihte schwerlich in Worte fassen: Als «Hilfe bei der Weiterentwicklung», als «Sachen zeigen», beschreibt es eine Mitbewohnerin des Solothurner Heilers. Auf alle Fälle «tut es einfach der Seele gut.»
Fakt ist allerdings: In der vergeistigten Welt des M. H. existieren auch ganz profane körperliche Bedürfnisse. Aufgrund der Art und Weise, wie diese befriedigt wurden, ist H. neben allem oben aufgeführten auch ein verurteilter Straftäter.
Mitunter an der Grenze zum Sadismus
Das Amtsgericht Solothurn-Lebern verurteilte H. im Oktober 2006 wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern, mehrfacher sexueller Handlungen mit Abhängigen, mehrfacher Ausnützung einer Notlage sowie Widerhandlung gegen das Gesundheitsgesetz zu einer zweieinhalbjährigen Zuchthausstrafe. H. anerkannte einen Teil der Schuldsprüche, appellierte gegen den Rest und fordert nun eine bedingte Gefängnisstrafe.
M. H. soll von 1996 bis 2004 vier Frauen in seinem Umfeld wiederholt sexuell missbraucht haben - zwei der mutmasslichen Opfer waren zum Tatzeitpunkt minderjährig. Ins Rollen gebracht hatte die Ermittlungen ursprünglich der Sektenexperte Hugo Stamm, an den Aussteigerinnen gelangt waren. Stamm ist überzeugt, dass die vier missbrauchten Frauen weitere Leidensgenossinnen hatten oder haben, die freilich nicht gegen ihren Guru auszusagen wagten.
Der zuständige Staatsanwalt, davon zeugt die Schlussverfügung, konnte sich die Gedankenwelt von M. H. bisweilen nur in Anführungszeichen vorstellen. Die Konstruktion einer stichhaltigen Anklage auf Basis der Aussagen der vier bekannten Opfer gelang ihm dennoch. H. soll das Machtgefälle zwischen ihm und seinen «Schülerinnen» zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse ausgenützt haben. Diese Bedürfnisse bewegten sich mitunter an der Grenze zum Sadismus.
Narzisstische Persönlichtszüge
«Die Liebe», sagte H. gestern vor dem Obergericht, «darf bekanntlich keine Gesetze kennen.» Um Liebe nämlich habe es sich in allen Fällen gehandelt. Die angebliche Liebe ist im Fall der beiden erwachsenen Opfer erloschen: Sie wollten bei ihren Aussagen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden, nicht mit ihrem einstigen Meister konfrontiert werden.
Keine Kontaktscheu hatte die junge Mitbewohnerin des Angeklagten: Sie erläuterte, das Lächeln so sanft wie der Ton, die Abläufe in der Meditationsgemeinschaft, blieb dabei vage, war aber beflissen, die Hierarchien so flach als möglich zu zeichnen. «Für Aussenstehende», sagte Opferanwältin Ida Salvetti, «ist es schwer zu verstehen, was in der Gruppe vorgegangen ist.» Die Hierarchien jedenfalls seien alles andere als flach gewesen. Hier der alles dominierende M. H., dort die labilen Frauen, die nur zu leicht in die Abhängigkeit jenes Mannes gerieten, der sich ihnen als «geistig hochentwickeltes Wesen» präsentierte und ihnen beschied, sie seien als seine Partnerinnen in der spirituellen Welt auserkoren.
Einigermassen demütigend für das «geistig hochentwickelte Wesen» muss es sein, dass ihm der Psychiater ausgerechnet eine «mangelhafte geistige Entwicklung» attestiert, dazu narzisstische Persönlichkeitszüge. Für Verteidiger Alain Joset muss das Gutachten des Psychiaters zu einer Milderung der Strafe für M. H. führen. Eine Strafe, die, so es nach der Verteidigung geht, ohnehin milder ausfallen soll: Freisprüche forderte Joset im Fall der beiden erwachsenen Frauen, da sich diese nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis befunden hätten. Freispruch forderte der Verteidiger auch im Fall des einen minderjährigen Opfers, da dessen Aussagen nicht ausreichend glaubwürdig seien.
Das Obergericht gibt sein Urteil voraussichtlich heute bekannt.