General Guisan
«Guisan war ein feiner Mensch»

Eine Viertelstunde in seinem Leben vergisst Reto Veraguth (84) aus Dottikon nicht mehr: Im Juli 1944 begegnete er dem populären General Henri Guisan, der vor 50 Jahren verstorben ist.

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«Guisan war ein feiner Mensch»

«Guisan war ein feiner Mensch»

Jörg Baumann

General Henri Guisan besuchte im Zweiten Weltkrieg die Truppen gerne und oft und sprach ihnen in schweren Zeiten Mut zum Durchhalten zu. Reto Veraguth, der in Wettingen aufwuchs, absolvierte 1944 mit erst 19 Jahren in Locarno die eisenharte Grenadier-Rekrutenschule. Veraguth erinnert sich: «An einem Tag im Juli 1944 besuchte General Henri Guisan unsere Rekrutenschule. Der Besuch dauerte nur eine Viertelstunde. Fotografien durften dabei keine gemacht werden.»

Der General erkundigte sich bei jedem Wehrmann nach seinem Befinden. «Auch mich, den jungen Rekruten, fragte Guisan: ‹Ça marche?›» Veraguth, der frisch die Maturität hatte und Deutsch, Französisch und Italienisch sprach, antwortete: «Oui, mon General, ça marche!» Damit war das Gespräch beendet.

Heisse Zeiten an der Grenze

Die letzten beiden Kriegsjahre 1944 und 1945 werden in der Geschichtsschreibung nicht selten so dargestellt, als ob die Kriegsgefahr für die Schweiz endgültig gebannt gewesen wäre. Veraguth erlebte das pure Gegenteil. Von Italien her wollte die im Afrikafeldzug geschlagene deutsche Wehrmacht, unter ihnen auch die besonders gefährlichen SS-Mannschaften, auf der Flucht vor den Allierten durch die Schweiz heim ins Reich.

Anfänglich wollten die Deutschen sich den Durchmarsch durch unser Land bewaffnet erkämpfen. «Das hätte Krieg in der Schweiz bedeutet», erzählt Veraguth. Durch das kluge taktische Vorgehen unserer Armeespitzen konnte erreicht werden, dass die deutschen Soldaten an der Grenze grösstenteils ihre Waffen abgeben mussten und mit der Eisenbahn durch die Schweiz nach Deutschland befördert wurden.

Veraguth erfüllt dabei eine wichtige Mission. Er wurde, weil sprachkundig, im Nachrichtendienst eingesetzt. «Wir hatten alle Angst, dass der Krieg bei uns doch noch ausbrechen würde», erzählt er. «6000 bis 8000 deutsche Wehrmänner standen an der Tessiner Grenze, bereit, sich mit Gewalt den Durchmarsch zu erkämpfen.»

Veraguth erhielt den strengen Befehl, über seine nachrichtendienstliche Arbeit zu schweigen. Ein Geheimnisverrat wäre mit Erschiessen bestraft worden. Neben den deutschen Truppen wollten auch italienische Partisanen die Landesgrenze übertreten. Das sei ihnen erlaubt worden, berichtet Veraguth. Dabei habe er festgestellt, dass die Tessiner stark mit den Italienern sympathisiert hätten.

Ein grosser General

Veraguth wurde schon als Kantonsschüler mit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert. Er stand als Fliegerbeobachter im Einsatz. Die Bombardierung von Friedrichshafen erlebte Veraguth indirekt, mit dem Fernrohr in der Hand, mit. Nach dem Krieg wurde Veraguth Architekt. Über General Henri Guisan lässt er gar nichts kommen. «Er war ein feiner Mensch, dem das Wohl der Truppen sehr am Herzen lag.» Am Beerdigungsgottesdienst von Guisan am 12. April 1960 konnte er nicht teilnehmen. «Die Kritik am General ist erst nach seinem Tod geäussert worden. Ich finde sie, wenn man seine Leistungen berücksichtigt, masslos und falsch», sagt Veraguth.