Beim Konsumenten geht die Angst um: vor Gammelfleisch und «gefälschten» Esswaren. Zumindest in unserem Nachbarland Deutschland.
Von Bojan Stula
Auf der politischen Schlachtplatte der auseinander bröckelnden Grossen Koalition ein gefundenes Fressen. Flugs bilden sich Expertenrunden, die vehement eine farbliche Markierung für Fleischabfälle fordern, damit diese nicht illegal zu Fastfood verarbeitet oder als Tierfutter im Ernährungskreislauf landen können. Wer sich in der deutschen Politik auskennt, weiss, mit wie viel Pfeffer solche Diskussionen geführt werden: Da geht es oft ans Eingemachte.
Noch keine Lösung für «Cervelat-Darmkrise»
Es war eines der Themen des Euro-Sommers 2008: das Einfuhrverbot für Rinderdärme aus Brasilien, das die EU aus Sorge vor einer möglichen BSE-Ansteckung verhängt hatte, und die schweizerische Cervelat-Produktion gefährdete. Zum GAU bei der inländischen Wurstproduktion ist es gleichwohl nicht gekommen, obschon Bell-Sprecher Davide Elia noch heute darauf hinweist, dass es für die Herstellung für Cervelats - oder «Klöpfer», wie diese Würste auf gut Baseldytsch immer noch heissen - nichts Besseres als die brasilianischen Cebu-Rinderdärme gibt.
«Glücklicherweise kommen die Ersatzprodukte aus Argentinien und Paraguay sehr nahe an das brasilianische Original heran», sagt Elia, «damit können wir den immer noch herrschenden Engpass ganz gut überbrücken». Rund 70 Prozent des Bedarfs an Wursthäuten für die Klöpfer können durch Importe aus diesen beiden südamerikanischen Ländern gedeckt werden. Eine baldige Aufhebung der EU-Importverbots zeichnet sich laut der Basler Bell AG noch nicht ab. (bos)
Auch in Basel wird diese Diskussion verfolgt. Beispielsweise bei der Bell AG, dem grössten Fleischproduzenten der Schweiz. Oder im Basler Schlachthof, ebenfalls national an der Spitze. Doch der Basler Kantonstierarzt Markus Spichtig winkt ab: «Eine Markierung von Fleischabfällen steht bei uns momentan nicht zur Diskussion.» Was zu den Hochzeiten der BSE-Krise aber noch ganz anders war. «Da haben auch wir vorsorglich mit fluoriszierender Farbe die Fleischabfälle markiert.»
Inzwischen hat sich die Lage auf dem Schweizer Fleischmarkt beruhigt. Im Gegensatz zu anderen Lebensmitteln wird die Grossproduktion von Fleisch nicht nur per Stichprobe, sondern systematisch kontrolliert. Möglichkeiten zur missbräuchlichen Verwendung sieht Spichtig allenfalls bei kleinen Schlachtbetrieben ohne dauernde amtliche Überwachung: «Schwarze Schafe gibt es immer, doch sind mir in jüngster Zeit keine Fälle bekannt.»
Davide Elia von der Bell AG fügt an, dass im Vergleich zu Deutschland der Schweizer Fleischmarkt viel übersichtlicher sei: «Bei den grossen Schweizer Fleischproduzenten ist die Gewinnung und Verarbeitung in der gleichen Hand.» Deshalb hat die Bell AG, die nicht im Ausland schlachten lässt, die Kontrolle über Rohmaterial und Endprodukt. Das Vertrauen in die Schweizer Produktion ist offenbar so gross, dass selbst Fleischabfälle im Ausland dankbare Abnehmer finden.
So fährt «jeden Tag ein Lastwagen mit lebensmitteltauglichen Innereien vom Basler Schlachthof nach Deutschland», bestätigt Kantonsveterinär Markus Spichtig - ohne, dass sich dieser Sorgen um eine missbräuchliche Verwendung mache. Denn für die Warenflusskontrolle seien die deutschen Kollegen zuständig.
Lebensmittelchemiker Peter Brodmann vom Baselbieter Kantonslabor sieht noch einen anderen Grund dafür, dass Gammelfleisch in der Region «kein systematisches Problem» ist: «In Deutschland läuft beim Verbraucher vieles über den Preis; deshalb kann sich Betrug mit minderwertiger Ware auszahlen. Beim Schweizer Konsumenten dagegen ist die Qualität entscheidend.»