Auch im Freiamt gab es während des Zweiten Weltkriegs «Fröntler». Heinrich Rengel, Kompaniekommandant des Freiämter Bataillons 46 und Gründer der Eidgenössischen Kampf-partei, scharte 1942 in Muri und Umgebung politisch Gleichgesinnte um sich.
JÖRG BAUMANN
Am 6. September 1942 hielt der Präsident der Eidgenössischen Kampfpartei, Heinrich Rengel, im Hotel Löwen in Muri eine Rede. 120 Leute hörten Rengel zu, der zwei Jahre zuvor, auf dem Höhepunkt des deutschen Vormarschs in Europa, seine frontistische Partei gegründet hatte.
Der Historiker und Journalist Tobias Holzer, der in Buttwil aufgewachsen ist, ging den Spuren Rengels und seiner Partei in einem Beitrag für «Argovia», die Jahresschrift der Aargauischen Historischen Gesellschaft, nach.
Holzer kommt zum Schluss, dass die Kampfpartei die einzige frontistische Gruppierung gewesen sei, die im Freiamt eine gewisse Bedeutung erlangte.
Hingegen konnte die rechtsextreme Nationale Front, die in ihrer Blütezeit gesamtschweizerisch mehr als 9200 Mitglieder und allein im Aargau über 40 Ortsgruppen aufwies, im Freiamt nicht Fuss fassen.
Rengels Charisma wirkte
«Die Erkenntnis, dass sich im katholisch-konservativen Freiamt überhaupt eine Front breitmachen konnte, erstaunt und widerspricht teilweise der historischen Forschung», hält Holzer fest. Seiner Ansicht nach war die katholisch-konservative Prägung des Freiamts ein sehr wirkungsvoller Riegel gegen die Nationale Front. Nicht so bei der Eidgenössischen Kampfpartei. «Das Charisma von Heinrich Rengel und seine Präsenz als Mann der Wirtschaft und Kompaniekommandant im Freiämter Bataillon 46 reichten aus, um eine Bewegung aufzubauen, die eine gewisse Relevanz erreichen konnte.»
Man müsse davon ausgehen, dass der Nährboden für Erneuerungsbewegungen auch in der Freiämter Bevölkerung vorhanden gewesen ist, stellt Tobias Holzer fest. Dies zeigten insbesondere die gut besuchten Versammlungen der Kampfpartei. In Bremgarten sprach Rengel im März 1942 vor 200 Personen.
Offenbar war seine Partei aber ziemlich regional begrenzt. Die Bewegung sei im schweizerischen Zusammenhang «kaum beachtet» worden, zitiert Holzer den Historiker Willi Gautschi.
Polizei beobachtete die Partei
Rengel selber war laut Gautschi offenbar eine Zeit lang «eine kommende politische Grösse». Im Rekrutierungsgebiet des Freiämter Bataillons 46 habe er vorübergehend einen erstaunlichen politischen Anhang gewonnen, schreibt der Historiker.
Im Freiamt war man jedoch auf der Hut, was Holzer mit verschiedenen Quellen aufzeigt. Die Polizeistation Muri informierte beispielsweise das Polizeikommando Aargau über eine erste Mitgliederliste der Kampfpartei. Diese Liste enthält zehn Namen, meistens Soldaten. Ein Polizist aus Boswil merkte an, dass die Partei von der Bevölkerung nicht ernst genommen werde. Die Akteure seien Leute, die in der Gesellschaft als Aussenseiter bekannt seien «oder dann in Milieus verkehren, die in der rechtdenkenden Bevölkerung keine grosse Anhängerschaft zu erwarten haben».
«Nicht standhafte Schweizer»
Ein Gemeindeschreiber aus Muri erklärte, der Ortsgruppe Muri gehörten Elemente an,
«die nicht gerade Anspruch auf standhafte Schweizer machen können». Sie zählten nicht zu den Arbeitswilligen, ihr Lebenswandel sei «nicht erhaben».
Der damalige Murianer Gemeindeammann Müller hingegen gab zu Protokoll, dass er «gegen diese Personen in keiner Weise etwas auszusetzen habe». Der Gemeindeschreiber habe sein Schreiben etwas würzen wollen «und Sachen angeführt, die entweder gar nicht oder nur wenig zutreffen».
«Lasst euch anspucken»
Im Murianer Establishment scheint Rengels Kampfpartei «nicht mit Wohlwollen» bewertet worden zu sein, schliesst Holzer aus den Kommentaren. Rengel formulierte diese feindliche Gesinnung gegen seine Partei auf seine Weise um. «Lasst euch anspucken», riet er seinen Gesinnungsgenossen. «Es wird die Zeit kommen, wo wir nach Bern gehen, die Partei ist geboren für die Nachkriegszeit, dann wird sie eine grosse Rolle spielen», war er überzeugt.
Holzer sieht dies als Zeichen für eine frontistische Bewegung. «Der Glaube an eine Erneuerung, bei der die politischen Karten neu gemischt werden, und der Wille, das staatliche Gewaltmonopol zu missachten, sprechen eine deutliche Sprache.»
«Nicht staatsgefährdend»
Kritisch wurde für Rengel in seiner Funktion als militärischer Kommandant die Äusserung, seine Partei brauche 5000 Mitglieder, «die einmal bereit sind zu schiessen». Trotzdem kam das Eidgenössische Militärdepartement in einer Untersuchung zum Schluss, Rengels Ansichten seien nicht staatsgefährdend.
Rengel konnte sich dem drohenden Zugriff der Justiz rechtzeitig entziehen. Die Militär-
direktion habe ihm Rücken-
deckung verschafft, schreibt Holzer, nachdem Rengel versichert habe, dass er «hierorts» seine Tätigkeit einstellen werde.