Am Samstag öffnet die Expo 2010 ihre Tore. Dann sollen täglich bis zu 600 000 die 100 Pavillons besichtigen. Die Weltausstellung in Schanghai soll alle bisherigen übertreffen.
Jutta Lietsch, Schanghai
Eine Stadt erwacht. Aus der Dunkelheit dringen vertraute Geräusche des frühen Morgens: Ein Auto startet, Müllwagen klappern, Motorräder röhren, Glocken läuten, die Sirene eines Krankenwagens heult. Mit diesen Klängen beginnt die Wanderung durch den Pavillon «Urban Planet» auf der Schanghaier Weltausstellung, die am kommenden Samstag offiziell eröffnet wird.
Bis zu 40000 Besucher dürften dann täglich durch die Halle im Zentrum des gewaltigen Expo-Geländes laufen. Sie werden Bilder und Filme über das Leben in den Metropolen aller Kontinente betrachten und sich - hoffentlich - fragen: Wohin führt es, wenn wir Menschen immer mehr Müll produzieren und immer mehr Energie, Wasser und andere kostbare Rohstoffe verschwenden? Und was können wir tun, um die Erde vor dem Kollaps zu retten?
«Urban Planet» ist das geistige Kind von Lutz Engelke. Der Ausstellungsdesigner aus Berlin hatte den Zuschlag unter 150 Mitbewerbern aus aller Welt erhalten, einen der fünf «Themenpavillons» auszustatten, mit denen Schanghai unter dem Motto «Better City, Better Life» die grösste Weltausstellung aller Zeiten feiert. Die «grösste Expo aller Zeiten» - das ist wörtlich zu nehmen. Fast zwei Jahre nach den «besten Olympischen Spielen aller Zeiten» in Peking bereitet sich Chinas Hafenmetropole und ewiger Rivale der Hauptstadt auf ein Ereignis vor, das in seinen Dimensionen in einer ganz anderen Klasse spielt als alle bisherigen Weltausstellungen.
400 Milliarden Yuan (43 Milliarden Euro), so berichten chinesische Medien, dürfte die Runderneuerung Schanghais für die Weltausstellung kosten - mit einer erweiterten Uferpromenade, zusätzlichen Tunnels unter dem Huangpu-Fluss, neuen U-Bahn-Strecken, Brücken und Strassen. Rund 19000 Familien wurden für die Expo umgesiedelt, einige von ihnen gegen ihren Willen. Ein altes Stahlwerk und Schiffsdocks wurden verlegt.
Ab Mai sollen täglich 400000 bis höchstens 600000 Menschen die rund 100 Pavillons besichtigen, in denen sich 240 Nationen, Städte und Organisationen mit mehr als 20000 Veranstaltungen präsentieren. Schon jetzt ist klar: Es wird eine Schau, in der sich auch die veränderten Kräfteverhältnisse in der Welt spiegeln.
Wie schon vor zwei Jahren die Olympischen Spiele dient die Expo Chinas KP-Politikern dazu, ihrer eigenen Bevölkerung zu beweisen, dass sich ihr Land modern und zukunftsgewandt entwickelt und dass es weltweit geschätzt und respektiert wird. Zur Eröffnungsgala am 30. April haben sich Politiker wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, EU-Kommissions-Präsident José Barroso und die EU-Aussenministerin Catherine Ashton angesagt. Zu so genannten «Nationentagen» werden im Lauf der 184 Tage währenden Expo weitere Staats- und Regierungschefs nach Schanghai reisen.
Mit dabei sind Staaten wie die USA, die anfangs zögerten, weil sie den Sinn einer Weltausstellung in Zeiten des Fernsehens und des Massentourismus, des Internets und der Wirtschaftskrise nicht recht einsahen und kein Geld für einen Pavillon zur Verfügung stellen wollten oder konnten. Zumal fast alle Gebäude wieder abgerissen werden, wenn die Tore der Expo am 31. Oktober schliessen. Das gehört zum Prinzip der Weltausstellung.
Nicht nach Schanghai zu kommen, würden die chinesischen Gastgeber als politischen Affront werten, was angesichts der wachsenden Rolle Chinas niemandem ratsam erscheint. US-Aussenministerin Hillary Clinton sprach letztes Jahr persönlich ein Machtwort und trieb in letzter Minute Sponsoren auf, damit Amerika bei der Expo nicht fehlt. Der US-Bau ist - nach Chinas Zentralpavillon - das zweitgrösste nationale Gebäude. 120 Millionen Euro verschlingt der Pavillon Saudi-Arabiens, der britische Pusteblumen-Pavillon 28 Millionen Euro. Sogar Taiwan und Nordkorea sind dabei.
Die Expo richtet sich erst in zweiter Linie an die ausländischen Gäste. Wichtigste Zielgruppe sind die Chinesen aus allen Teilen des Landes. Insgesamt rechnen die Organisatoren mit über 70 Millionen. Diesen Markt haben Firmen wie Siemens, Coca-Cola oder General Motors im Blick, wenn sie ihre chinesischen und internationalen Geschäftspartner nach Schanghai holen, um ihnen VIP-Touren durch die Metropole und ihre Weltausstellung zu bieten.
Mittelpunkt der Expo ist der rote Nationalpavillon, der mit seinen 60 Meter Höhe alle anderen Bauten weit überragt. Chinas Medien nennen ihn «Krone des Ostens», viele Chinesen sprechen allerdings ironisch von «umgekippter Beamtenmütze». Wie schon bei Olympia spiegelt das Design des Bauwerks die nationalen Visionen der KP-Führer.
Der 72-jährige Chefdesigner und Architekturprofessor He Jingtang beschreibt seinen Auftrag so: Der Pavillon soll «den Charakter der chinesischen Kultur darstellen und den Eindruck vermitteln, dass China unablässig danach strebt, besser zu werden, und dass China eine grosse und beeindruckende Nation ist».
Allerdings sind nicht alle Chinesen davon überzeugt, dass die Expo das viele Geld wert ist. Wie üblich ist das Internet jener Ort in China, an dem sich Kritiker und Spötter zum Beispiel über die hohen Eintrittspreise - über 16 Euro pro Person am Tag - und die vermutlich langen Wartezeiten vor den meisten Pavillons erregen.