Die Inka
Erstmals in Europa: Indiana Jones unter den «Römern von Amerika»

Die europaweit erste Ausstellung über das grösste aller alten Reiche beider Amerika liegt nahe – in Stuttgart. Noch immer gibt das Reich, welches sich über 5000 Kilometer weit erstreckte, zahlreiche Rätsel auf.

Max Dohner
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Die Rätselstadt auf 2360 Meter Höhe, mitten in zerklüftetem Gebirge: Machu Picchu Istockphoto

Die Rätselstadt auf 2360 Meter Höhe, mitten in zerklüftetem Gebirge: Machu Picchu Istockphoto

Was ist Grösse, was Erinnerung? Und wie «gerecht» ist unsere gesammelte Erinnerung, die Geschichte?

Man kann auch anders fragen: In welchen Spiegel schauen wir, aus welcher Warte – und warum meist nur aus der eigenen?

Wir kennen Alexander den Grossen, Pharao Tutanchamun und Julius Cäsar. Wer aber kennt Viracocha (den «Schöpfergott»), Huáscar (den «Herrscher der goldenen Kette») oder Pachacútec Yupanqui (den «Gott, der die Welt veränderte»)? Nicht einmal die Nachfahren dieser Gottkönige tun es mit Genauigkeit und Seele, nicht einmal jene, deren Vorfahren einst unter den Genannten gelebt hatten: die heutigen Nachfahren der Inka in Peru, Ecuador und Bolivien, in Kolumbien, Chile und Argentinien. Ja, so weit erstreckte sich das Inka-Reich, über fast 5000 Kilometer (in Europa wäre das von Lissabon bis Baku in Aserbaidschan).

Wissen sie, was sie tun?

Zwar tanzen die Andinos, die Bewohner der Anden, an Festtagen noch heute zu den Klängen von Flöten und Trommeln. Sie weben ihre Stoffe nach alter Tradition und bestellen ihre Felder, wie es der Brauch ist seit Jahrhunderten. Sie heben bemalte katholische Heilige auf hölzernen Sänften hoch, damit alle die Apostel sehen, so wie es vor Jahren und Jahrhunderten schon ihre Vorfahren getan hatten mit den Mumien ihrer verehrten Könige. Aber das genaue Wissen, wie das alles zusammenhängt, woher das alles kommt, ist den meisten nicht geläufig.

Goldenes Lama (Miniatur). HO
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Schachbrett-Uncu des Offiziers.hO
Aryballo-Träger mit Bierbecher. HO

Goldenes Lama (Miniatur). HO

Auch nicht in Europa

Dabei handelt es sich bei den Inka um das grösste Reich, das in Amerika je existierte – ehe Kolumbus Amerika «entdeckte» und danach die Conquistadores dieses Imperium eroberten, unterwarfen, verrieten und kolonisierten. Kurz: dem Untergang weihten. Erst Reisende, dann Touristen entdeckten später neu die Faszination dieser untergegangenen Welt – ihre Mythen, ihre Rätsel, ihre staunenswerten Leistungen und schrecklichen Auswüchse –, aber da musste das Meiste bereits mühsam wieder ausgegraben werden.

Oft buchstäblich. So wurde Machu Picchu, dieses Weltwunder auf 2360 Metern zerklüfteter Höhe, erst 1867 entdeckt, vom Deutschen Augusto Berns. Er besass mit seiner Firma für das Gebiet Goldschürfrechte.

Aber auch diese Entdeckung hatte eine Vor- und eine Nachgeschichte. Denn am 24. Juli 1911 wurde die Stätte noch einmal «entdeckt», worauf sich dieses Datum in vielen Köpfen hielt. Eine Expedition der Yale University unter der Leitung Hiram Binghams war durch Zufall auf die Ruinen gestossen, die von dichter Vegetation überwuchert war.

Es wird behauptet, dass Bingham die Stadt schon 1909 entdeckt habe und sich einfach Zeit verschaffte, um Funde wie Gold und Grabbeigaben in die Vereinigten Staaten zu schaffen. Am Eingang zum Machu Picchu ist eine Tafel befestigt, mit deren Aufschrift Peru die Vereinigten Staaten von Amerika zur Einsichtnahme in die Funde Binghams bittet.

Erst 2008 wurde zwischen den USA und Peru eine Vereinbarung getroffen; mittlerweile sind alle Funde Binghams nach Peru überführt worden.

Über Machu Picchu gab es freilich schon vor Bingham Zeugnisse und Dokumente. Im Jahr 1874 wurde vom deutschen Ingenieur und Landvermesser Herman Göhring eine genaue Karte gezeichnet, worauf die präkolumbianische Stadt am exakten Ort vermerkt ist. Bis heute aber streiten sich die Fachleute über den genauen Zweck der Gipfelstätte.

Bastion oder Wohnanlage für Jungfrauen?

Eine Theorie bezeichnet Machu Picchu als königlich-religiöse Zuflucht der Inkas, in der sich neben dem Regenten auch «Jungfrauen der Sonne» aufgehalten hätten, sowie – bei Abwesenheit des Königs und seines Trosses – immer verschiedengeschlechtliche Bedienstete. Berühmt wurde Machu Picchu vor hundert Jahren, als die National Geographic Society ihre gesamte Ausgabe vom April 1913 dieser Stadt widmete.

Es kann darum nur verwundern, dass in Europa erst jetzt eine umfassende Ausstellung den Inka gewidmet ist, zumal die Faszination ungebrochen bleibt, nicht zuletzt popularisiert und befeuert von «Indiana Jones»-Filmen. Von der Schweiz aus muss man nicht weit fahren, um darin einzutauchen. Man geht entweder (noch bis Mitte März 2014) nach Stuttgart, ins dortige renommierte Linden-Museum. Oder fährt danach ins bayrische Rosenheim, ins Ausstellungszentrum Lokschuppen.

260 Objekte werden gezeigt, von den Anfängen der Inka-Kultur in der Mitte des 11. Jahrhunderts bis in die Kolonialzeit. Die Architektur, das Leben der Inka-Adligen, die Religion mit dem Sonnentempel als Zentrum, Krieg und Landwirtschaft stehen im Mittelpunkt.

Auch kann man erfahren, mit welch erstaunlichen Mitteln die Inka es schafften, ihr Riesenreich zu verwalten – u.a. mit Knotenschnüren, deren «Schriftbilder» wahrscheinlich einem binären Code folgten, ähnlich dem aus heutigen Computerprogrammen.

Von den Römern in Europa konserviert, vermisst und deutet man jeden Stein. Die «Römer Amerikas» aber, die 200 verschiedene ethnische Gruppen vereinigten, geben noch immer die grössten Rätsel auf... und schon beziehen wir wieder die eingangs erwähnte Warte: Warum nennt man die alten Römer eigentlich nicht mal die «Inka von Europa»?

Katalog zur Ausstellung: «Inka – Könige der Anden». 350 Seiten, reich bebildert. Verlag Philipp von Zabern, 2013.