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Ein 56-jähriger Serbe wehrt sich vor Verwaltungsgericht gegen den Entzug seiner Niederlassungsbewilligung. Als Kronzeuge der Ausländerbehörden fungiert ein Journalist der «Weltwoche.»
Samuel Misteli
Die Bewohner von Covdin, einem kleinen Weiler im Südosten Serbiens, bereiteten dem Journalisten Alex Baur einen herzlichen Empfang, als er Ende April 2007 in ihr Dorf kam. Er recherchiere zum Thema «Migration», sagte der Journalist. Covdin, ein Ort, den viele Einheimische Richtung Westeuropa verlassen hatten, und in den manche von ihnen wieder zurückgekehrt waren, schien ein geeignetes Untersuchungsobjekt zu sein. Die Bewohner, mit denen sich Baur in der Dorfbeiz unterhielt, gaben sich redselig. Die Verständigung bereitete kaum Probleme, weil viele Einheimische Deutsch sprachen.
Die Gastfreundschaft der Dorfbewohner wurde freilich schlecht belohnt: Im Juni 2007 veröffentlichte die «Weltwoche» einen Artikel mit dem Titel «Neulich im IV-Dorf». Darin zeichnete Autor Baur ein wenig schmeichelhaftes Bild von Covdin: Die meisten Bewohner der wirtschaftsschwachen Gemeinde würden von Überweisungen aus dem Ausland leben. Schwerwiegender: Etwa ein halbes Dutzend der nach Covdin Heimgekehrten würde unrechtmässig Sozialrenten in der Schweiz beziehen. Zum unfreiwilligen Hauptprotagonisten des Artikels wurde ein gewisser Soskas. Der 54-jährige Soskas, so die «Weltwoche», sei im solothurnischen Zuchwil gemeldet, beziehe in der Schweiz eine Invalidenrente, führe aber gleichzeitig in der Heimat zwei Garagen und sei gar amtierender Gemeindepräsident von Covdin.
Die Informationen aus der Beiz
Der «Weltwoche»-Artikel sorgte für Aufsehen - unter anderem im kantonalen Departement des Innern. Eine Untersuchung wurde eingeleitet, die Polizei begann gegen den mutmasslichen Betrüger Soskas zu ermitteln. Am 8. Mai 2009 erliess das Departement eine Verfügung, in der es dem Serben die Verlängerung der Niederlassungsbewilligung verweigerte. Die Begründung: Er habe seinen Lebensmittelpunkt nach Serbien zurückverlagert. Soskas, der vor 31 Jahren in die Schweiz gekommen war, erhob Beschwerde beim Verwaltungsgericht.
Beschwerdeführer Soskas sprach bei der gestrigen Verhandlung wenig. Zu Wort kamen vor allem Rechtsvertreter und Zeugen. Der Abwart des Zuchwiler Blocks, in dem der IV-Rentner 2007 gewohnt haben soll, gab an, er habe Soskas nur etwa fünf Mal gesehen. Ein anderer Zeuge hingegen, ein 62-jähriger Bäcker, bei dem Soskas seit eineinhalb Jahren als Untermieter wohnt, gab an, der Serbe sei «stets im Umlauf».
Als Kronzeuge fungierte indes Journalist Alex Baur. Vor allem deshalb, weil sich die Abteilung für Ausländerfragen des Innendepartaments bei ihrer Verfügung vom Mai mehr noch als auf die polizeilichen Ermittlungen auf Baurs Aussagen in seinem Artikel gestützt hatte. Die Frage lautete: Wie sauber hatte der Journalist recherchiert? Allzu viel Mühe hatte es Baur nicht gekostet, auf die Spur des mutmasslichen Scheininvaliden zu kommen: Die Aussagen des Artikels stützten sich hauptsächlich auf Baurs Beizen-Recherche. Die Informationen für seine Vorwürfe hatten dem Journalisten die redefreudigen Gäste im Dorflokal geliefert. Soskas selber, sagte Baur, habe er danach bei der Arbeit an einem Auto angetroffen und mit ihm ein rund zehnminütiges Gespräch geführt. Ob der IV-Rentner tatsächlich das Amt des Gemeindepräsidenten bekleidet hatte, konnte der Journalist nicht sagen. Irgendeine offizielle Funktion habe Soskas aber ausgeübt.
IV-Rente soll gestrichen werden
«Das journalistische Werk ist nicht zu beanstanden», fand der Rechtsvertreter des Departements des Innern. Der Vertreter von Soskas hingegen beurteilte die Recherchen als wenig fundiert: Lediglich «vom Hörensagen» habe Baur seine Informationen bezogen. Amtliche Dokumente, so der Anwalt, würden belegen, dass sein Klient weder Gemeindepräsident von Covdin gewesen sei noch dort gewohnt habe.
Das Verwaltungsgericht gibt voraussichtlich nächste Woche bekannt, ob die Beschwerde von Soskas gutgeheissen wird. Auch wenn das Gericht zu Gunsten des Serben entscheiden sollte, durchlebt er gegenwärtig keine glücklichen Zeiten: Die IV-Rente, die dem ehemaligen Taxiunternehmer nach einem Autounfall vor zehn Jahren zugesprochen wurde, soll ihm aufgrund eines neuen Gutachtens gestrichen werden.